Leben bis an die Grenze der Unsterblichkeit

Ein internationales Forscherteam hat die individuellen Alterungsverläufe bei 46 Tier- und Pflanzenarten untersucht. Dabei stießen die Wissenschaftler auf bemerkenswerte Unterschiede. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Tiere und Pflanzen sind nicht nur äußerlich voneinander verschieden. Auch die Lebensspannen der einzelnen Arten gehen oft weit auseinander. Während Fruchtfliegen bereits nach wenigen Wochen sterben, können Grönlandwale über 200 Jahre alt werden. Pflanzen leben noch erheblich länger. So blüht am Dom in Hildesheim ein Rosenstrauch, dessen Alter Botaniker auf rund 700 Jahre schätzen. In Schweden wurde 2008 eine Gemeine Fichte entdeckt, die mit einem Alter von 9550 Jahren als ältester lebender Baum der Welt gilt.

Doch warum altern Lebewesen überhaupt? Hält man sich an die gängigen Theorien, dann investiert etwa ein Tier nur solange in den Erhalt seines Körpers, bis es sich erfolgreich vermehrt und seine Nachkommen großgezogen hat. Danach werden die Körperfunktionen störanfälliger, und mit jedem weiteren Anstieg der Lebensdauer wächst die Mortalität, sprich die Sterbewahrscheinlichkeit.

Doch anders als viele jetzt womöglich annehmen, ist dieses auch für Menschen typische Alterungsmuster nicht universell. Die Mortalitätskurve variiert vielmehr häufig von Art zu Art. Zu dieser überraschenden Erkenntnis ist jetzt eine Gruppe von Wissenschaftlern des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDF) und des Max-Planck-Centers on the Biodemography of Aging (MaxO) im dänischen Odense gelangt. Für ihre Studie, die im britischen Fachblatt »Nature« (DOI: 10.1038/nature12789) veröffentlicht wurde, untersuchten die Forscher den Zusammenhang von Alter, Mortalität und Fruchtbarkeit bei insgesamt 46 Tier- und Pflanzenarten: bei 23 Wirbeltieren (darunter 11 Säugern), 10 wirbellosen Tieren, 12 Gefäßpflanzen sowie einer Blaualge.

Einige der Arten altern ähnlich wie der Mensch. Das gilt sowohl für Säugetiere (Schimpanse, Rothirsch, Schwertwal etc.) als auch für den wirbellosen Wasserfloh. Im Gegensatz dazu ist bei der Kalifornischen Gopherschildkröte die Mortalität mit dem Alter rückläufig. Zwar sind auch diese Tiere irgendwann tot, denn ihr Sterberisiko fällt niemals auf Null. Aber wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, ist es für sie wahrscheinlicher als in der Jugend, den nächsten Geburtstag zu erleben.

Darüber hinaus gibt es Arten, bei denen sich die Sterbewahrscheinlichkeit über das gesamte Leben nicht verändert. Als Beispiele hierfür seien der Süßwasserpolyp und der Einsiedlerkrebs genannt. Beide scheinen körperlich kaum zu degenerieren, so die Forscher: »Der Süßwasserpolyp (Hydra magnipapillata) hat ein so geringes Sterberisiko, dass nach 1400 Jahren noch fünf Prozent einer unter Laborbedingungen gehaltenen Population leben würden.« Erwähnenswert ist auch die Eichenart »Quercus rugosa«. Bei ihr fällt die Mortalität zunächst ab, bleibt dann aber ebenfalls annähernd konstant.

Offenkundig könne man in der Natur nahezu jeden Alterungstyp finden, meint Owen Jones (MaxO). Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Fruchtbarkeit, von der es gewöhnlich heißt, sie sei im jungen Erwachsenenalter am höchsten und sinke nach Erreichen eines Maximums rapide ab. Das gilt für Menschen, aber nicht für Steppenpaviane, die bis an ihr Lebensende Junge bekommen können. Ganz aus dem üblichen Schema fallen die Alpensegler. Bei ihnen nimmt die Fruchtbarkeit im höheren Alter sogar noch einmal kräftig zu.

Warum es zu dieser erstaunlichen Vielfalt an Lebensverläufen gekommen ist, vermag derzeit niemand zu erklären. »Unsere Studie führt uns vor Augen, dass Altern eines der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie ist«, sagt Jones, der mit seinen Kollegen auch Folgendes festgestellt hat: Im Vergleich zu Menschen, die 1881 in Schweden geboren wurden, verharrt die Mortalitätskurve bei heute lebenden japanischen Frauen länger auf einem niedrigen Niveau, ehe sie stark ansteigt. Das zeigt nach Meinung der Wissenschaftler zumindest eines: Altern ist nicht nur eine Frage der Gene, sondern auch maßgeblich von den Lebensumständen eines Individuums abhängig.

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