nd-aktuell.de / 14.12.2013 / / Seite 25

Gegen die Politik des kleineren Übels

Willy Brandt und die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands

Heinz Niemann

Am 21. Oktober 1969 wurde Willy Brandt vom Bundestag zum neuen Bundeskanzler gewählt, mit einer Mehrheit von vier Stimmen. Auf einen der vier ungültigen Stimmzettel, die ein Patt verhinderten, war notiert: »Frahm nein«. Der sich u. a. hier artikulierende, langjährige Hass von etlichen Vertretern der bürgerlichen politischen Klasse speiste sich aus der linkssozialistischen Jugendzeit von Willy Brandt.

Am 4. Oktober 1931 hatten sozialdemokratische Linke unter Max Seydewitz und Kurt Rosenfeld auf einer Konferenz in Berlin unter der Losung »Karl Liebknecht mahnt - der Feind steht im eigenen Land« die Gründung einer eigenen, Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) beschlossen. Voran gegangen war dieser Parteigründung ein fast zwei Jahre währender, vergeblicher Kampf innerhalb der SPD um eine Kursänderung hin zu einer entschiedenen Opposition gegen den Koalitions- und Tolerierungskurs der Parteiführung gegenüber der Brüning-Regierung. Die auf dem Leipziger Parteitag Anfang Juni 1931 beschlossene Politik des »kleineren Übels«, die eine Machtübernahme Hitlers verhindern sollte, hatte die Lage der Massen weiter verschlechtert und den Einfluss der SPD geschwächt, nicht aber die Nazis gestoppt, im Gegenteil. Die SAP wollte zwischen den zerstrittenen Arbeiterparteien vermitteln und sie von der Notwendigkeit gemeinsamen antifaschistischen Abwehrkampfes überzeugen.

Insbesondere bei den sozialdemokratischen Jungsozialisten (SAJ) fand der Schritt zur Verselbstständigung große Resonanz. In Lübeck, einem unter der Führung von Julius Leber seit Jahren linken Bezirk, gründete sich ein Sozialistischer Jugendverband (SJV) unter aktiver Mitwirkung eines noch nicht achtzehnjährigen Gymnasiasten namens Herbert Frahm, der die SAJ-Gruppe »Karl Marx« leitete. Dank ihrer marxistischen Bildungsarbeit und nicht zuletzt infolge des rhetorischen Talents von dessen Leiter trat die Hälfte aller SAJ-ler in Lübeck dem SJV bei. »Mich kostete der Bruch mit der alten Partei ein Stipendium«, erinnerte sich Willy Brandt später. Denn sein Förderer Leber glaubte noch an einen innerparteilichen Wechsel und missbilligte die Abspaltung von der SPD. Der Abtrünnige verteidigte die Entscheidung: Man sei der Ansicht, »daß weder die Kommunisten noch die Sozialdemokraten so bleiben müßten, wie sie waren, daß man den unabhängigen Weg zu weisen habe und sie dadurch von ihren Irrtümern befreit würden«. Brandt bekannte, »die eine und einheitliche Arbeiterbewegung, von der wir träumten, sahen wir an Horizont schon heraufziehen«. Insbesondere die Kapitulation der SPD am 20. Juli 1932 vor Papens Staatsstreich gegen die sozialdemokratisch geführte Regierung Braun-Severing in Preußen bestätigte Frahm und seine Freunde in ihrem Schritt, sich der Sozialistischen Arbeiterpartei anzuschließen.

Doch die Agonie in der Endphase der Weimarer Republik, fehlende Mittel und organisatorische Schwäche zertrümmerten die Hoffnungen der SAP. Die Machtübertragung an Hitler und der nach dem Reichstagsbrand einsetzende Terror führten deren Gründer zur Überlegung, die junge Partei wieder aufzulösen und die Mitglieder zum Wiedereintritt in die SPD oder KPD aufzufordern. Auf dem am 11./12. März 1933 nahe Dresden illegal stattfindenden Parteitag, zu dem aus Lübeck Herbert Frahm mit Gymnasiastenmütze auf dem Kopf und getarnt mit dem »Allerweltsnamen Willy Brandt« angereist war, konstatierten die Delegierten jedoch einen totalen Bankrott der SPD und Versagen der KPD im Kampf gegen die Nazis. Daraufhin wurde einmütig beschlossen, die SAP fortzuführen und sie zum Sammelpunkt einer neuen, marxistischen und leninistischen Partei der Arbeiterklasse zu machen. Brandt erhielt den Auftrag, eine Auslandsvertretung der Partei in Norwegen aufzubauen. Was er auch tat. Ideologischer Streit und Misserfolge bewogen ihn jedoch, 1944 wieder in die SPD einzutreten

Nicht nur mit Verweis auf seinen Geburtsnamen und seine uneheliche Geburt versuchten die politischen Gegner in Nachkriegswestdeutschland Brandt in Misskredit zu bringen. Franz Josef Strauß maßte sich 1961 gar an: »Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.« Brandt, der es nicht nötig hatte, sich zu verteidigen, tat es trotzdem: »Eine Pflicht, zu bleiben und sich womöglich umbringen zu lassen, konnte es nicht geben.« Nicht nur, dass das Leben im Exil entbehrungsreich und gefahrvoll genug war, Brandt unternahm 1936 eine riskante Reise nach Berlin zur Unterstützung der dort illegal tätigen SAP-Organisation. Auch seine Parteinahme im spanischen Bürgerkrieg zeugte von Mut. Feigheit musste sich Willy Brandt nicht vorwerfen lassen.