Die Einfalls-Wüste

Etikettenschwindel: Lukas Langhoff gibt vor, am Gorki Theater »Die Übergangsgesellschaft« von Volker Braun zu inszenieren

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Das neue Gorki Theater leistet sich zwar keine Programmhefte mehr, nur simple Faltzettel, dafür aber Türsteher von der Art, wie man sie eher vor einer Disko, aber nicht vor der Tür eines Staatstheaters erwartet (ein Novum, wenn auch ein ungutes). Aber es ist ja Disko, was sich hier abspielt! Die Zuschauer sitzen auf der Bühne (!), auf dem Rang des Zuschauerraums steht der DJ und schwelgt in der Geschichte des Techno-Pop und seiner vielen aufregenden Wendungen in den achtziger und neunziger Jahren. Aber wenn dieser nicht mehr junge DJ, von der eigenen nostalgischen Verzückung gepackt, Musikbeispiele für seine ollen Geschichten auflegt, dann hört man immer nur das immer gleiche ohrenbetäubende Gewummer.

So muss es Lukas Langhoff, Ehemann der Intendantin Shermin Langhoff und Sohn von Thomas Langhoff, der Volker Brauns »Übergangsgesellschaft« am 30. März 1988 hier am Gorki Theater zur Uraufführung brachte, auch mit dem Stück gegangen sein: bloßes Gewummer. Olle Geschichten von gestern, die man mit ironischen Sprüchen und bloßen Sottisen, oder am schnellsten per flachem Kalauer endgültig in den Mülleimer befördert.

Ein bisschen zu viel Aufwand, nur um zu demonstrieren, dass einen alle mal können. Auch scheint Lukas Langhoff (geboren 1964) für derartig pubertäre Anwandlungen inzwischen doch etwas zu alt zu sein. Seine Theaterauffassung konserviert die Volksbühne von Anfang der 90er Jahre, wo so mancher meinte, Veralberung einer Sache mache dieser bereits überlegen. Doch heute ist so etwas Castorf-Kresnik-Epigonentum der abgestandensten Art.

Die Zuschauer also sitzen auf der Bühne, der DJ auf dem Rang und wie eine Herde Schafe als Busreisegruppe »Gorki Tour 91« werden nun die Schauspieler in den Zuschauerraum getrieben. Dort starren sie erst einmal auf die Bühne - den Zuschauern ins Gesicht - und fühlen sich ziemlich »verarscht«. Im Fortgang der glücklicherweise nur neunzigminütigen Veranstaltung fläzen sie dann, dumme Sprüche machend, in den Sesseln, oder - weil ihnen das anscheinend zu langweilig wird - zerschlitzen und zerhacken sie diese auch (wie des Weiteren noch eine Tür und eine Seitenverkleidung) mittels eines Beiles. So was sah man schon lange nicht mehr. Darauf ein Bier, Prost und nochmals Prost - so geht die Zeit auch vorbei. Das ähnelt dann der Splatter-Version von Pirandellos »Sechs Personen suchen einen Autor« und »Heute Abend wird aus dem Steggreif gespielt« - allerdings wie in einer sich besonders taff vorkommenden Ferienlageraufführung.

Diese Inszenierung ist zum sofortigen Vergessen bestimmt, sie hat mit Brauns Stück nicht mehr zu tun, als dass sie sich ab und zu ein Stichwort von ihm borgt (klaut?) für sinnfreie Improvisation. Volker Braun war anwesend - und wer ihn hinterher sah, der erblickte nicht nur Unglück in seinem Gesicht, sondern unverhohlenen Ärger.

Natürlich kann man ein Stück über die DDR-Endzeit heute nicht mehr eins zu eins auf die Bühne bringen. Bloß rückwärts kommentieren geht auch nicht. Also ist der Satz, der damals wie ein Sprengsatz wirkte, lediglich museal: »Die Revolution kann nicht als Diktatur ins Ziel kommen. Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen.« -? Gesprochen von Wilhelm, dem alten Kommunisten und Spanienkämpfer, aus Schutz für sein Ensemble vom alten Intendanten Albert Hetterle selbst großartig gespielt.

Doch solch gedankliche Versuchsanordnungen, die auf das Begreifen von geschichtlichen Übergangszeiten (Übergang wohin?) zielen, sind etwas, das in dieser Einfalls-Wüste, die letztlich bloße Einfalt demonstriert, eben nicht vorkommt. Das ist leider nicht neu bei Lukas Langhoff, der immer auf die großen Themen zustürzt, um sie dann so lange kleinzureden, bis nichts von ihnen übrig bleibt. So war es schon 2012 bei seiner »Volksfeind«-Inszenierung am Theater Bonn zu besichtigen, die es dann unerklärlicherweise bis zum Theatertreffen schaffte.

Volker Braun hatte in seiner »Übergangsgesellschaft« Tschechows »Drei Schwestern« in die DDR versetzt. Man spricht zwar von Moskau, aber die Alternative in der geschlossenen DDR-Gesellschaft ist messerscharf formuliert: militärische Herrschaft über das Volk oder aber Öffnung der Gesellschaft in ein Ungewisses, das allein noch Hoffnung gibt. Da ist viel DDR-Aroma: So spricht man davon, endlich reisen zu wollen - und nicht nur mit dem Finger auf dem Globus, der bei Thomas Langhoff ein wichtiges Spielutensil war, man schreit beim Selbstmord jenes ominösen Frank (der vielleicht gar keiner war, sondern nur die Flucht in eine allerletzte Nische), ob sich hier noch überhaupt jemand für etwas verantwortlich fühle?! - Sämtlich DDR-Endzeitgefühle, die den Nerv des Publikums trafen, Vorgeschichte des 89er Herbstes. »Habt doch keine Angst. Fliegt ab.« Und welchen Nerv der Gegenwart trifft die sogenannte »Spielfassung« von Lukas Langhoff und Holger Kuhla?

Wenn sich die Unkonzentriertheit einer in die Jahre gekommenen Jugendkultur in der Unkonzentriertheit der Regie-Arbeit spiegelt, dann ist hier vielleicht doch etwas über unsere Gegenwart gesagt. Aber Langhoff jr. repräsentiert die Relikte einer Spaß-Kultur, die wohl längst nicht mehr repräsentativ ist für die jüngere Generation. Diese blickt sehr wohl mit ernstem Interesse in die Geschichte zurück - auch, weil sie wissen will, wo vergessene Alternativen für die Zukunft liegen könnten und wo nicht.

Glücklicherweise hat das DDR-Fernsehen die »Übergangsgesellschaft« von 1988 im Jahre 1990 aufgezeichnet - man kann also vergleichen. Nein, nicht alles ist da von gestern. Da erzählt man sich gegenseitig Träume, die öfter noch Alpträume sind. Es gibt Sätze wie diesen, der, wie es scheint, erst jetzt seine ganze gefährliche Aktualität erlangt: »Wir zahlen Tribut an die tote Zukunft.« Das hätte man zum Ausgangspunkt für eine heutige »Übergangsgesellschaft« - der Abgrund ist doch immer noch da! - nehmen können, wenn man denn bereit gewesen wäre, überhaupt irgend etwas außer der eigenen Eitelkeit ernst zu nehmen.

Nächste Vorstellungen: 19., 20., 21., 28.12.

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