EU-Kurs: Merkel gibt erste Regierungserklärung ab

Euro-Finanzminister nähern sich bei Bankenunion an / SPD-Politiker Schulz drängt auf »Gemeinschaftsmethode«

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Berlin. Einen Tag nach ihrer Wiederwahl gibt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch im Bundestag die erste Regierungserklärung ihrer dritten Amtszeit ab. Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel will sie die europapolitische Position der neuen Bundesregierung umreißen. Im Wahlkampf hatten Union und SPD unterschiedliche Auffassungen insbesondere zur Austeritätspolitik und zur Bewältigung der Krise geäußert.

Bei Merkels Erklärung dürfte es unter anderem auch um die geplante Bankenunion gehen. In dieser Frage haben sich die Euro-Finanzminister weiter angenähert. Mehrere Ressortchefs sagten am frühen Mittwochmorgen, die Basis für einem Kompromiss am Mittwoch sei gelegt. Mit dem gemeinsamen Regelwerk zur Schließung von Pleitebanken soll das Riesenvorhaben der Bankenunion abgeschlossen werden.

»Wir sind ein gutes Stück vorangekommen«, sagte der erst Stunden zuvor im Amt bestätigte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach siebenstündigen Gesprächen. Sein französischer Kollege Pierre Moscovici ergänzte: »Wir haben eine gemeinsame Vision, was der gemeinsame Abwicklungsmechanismus sein soll.« Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sagte, er sei sehr zuversichtlich, dass ein Kompromiss am Mittwoch gefunden werden könne. Am Vormittag werden die Ressortchefs aller 28 EU-Staaten zu einem Sondertreffen zusammenkommen. Die Einigung soll vor dem EU-Gipfel stehen, der am Donnerstag beginnen wird.

Im Streit um die künftige Bankenunion und den Einfluss der EU-Mitgliedstaaten hat derweil der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), seinen Druck auf die Bundesregierung verschärft. In einem Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte Schulz, er erwarte von dem an diesem Donnerstag beginnenden Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs eine Bankenunion, »die auf rechtssicherer Grundlage im Gemeinschaftsrahmen geschaffen wird und die operativ arbeitsfähig ist«. Schulz warnte: »Deshalb ist der intergouvernementale Weg hierbei nicht pragmatisch.«

Hintergrund: Deutschland drängt darauf, dass die Mitgliedstaaten in der Bankenunion das letzte Wort bei der Abwicklung überschuldeter Banken behalten. Schulz mahnt dagegen, die EU dürfe nicht zu einem Instrument verkommen, das die großen Staaten zur Durchsetzung ihrer Interessen benutzen. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn wehrt sich gegen eine Zuständigkeit der Einzelstaaten. Er plädiert stattdessen für die »Gemeinschaftsmethode« und fordert eine Zuständigkeit der EU-Kommission.

Schulz drängte zudem auf die Möglichkeit direkter Hilfen des Euro-Rettungsfonds an strauchelnde Banken. Er betonte: »Der Gipfel sollte nochmals bestätigen, dass der ESM auch zur direkten Rekapitalisierung herangezogen werden kann, wenn andere Möglichkeiten nicht funktionieren.« Andere Europa-Parlamentarier fordern dagegen, Kredite aus dem ESM nur an die betreffende Regierung, nicht aber an die Geldinstitute direkt zu geben.

Am Abend fliegt Merkel gemeinsam mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu einem Kurzbesuch bei Frankreichs Präsident François Hollande nach Paris. Bei ihrer Wiederwahl im Bundestag hatte die 59-Jährige am Dienstag so viele Stimmen bekommen wie kein Kanzler zuvor.

Fast drei Monate nach der Bundestagswahl vom 22. September will sich die schwarz-rote Koalition nun schnell an die Arbeit machen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kündigte an, sich für familienfreundlichere Arbeitszeiten in Unternehmen einzusetzen. »Wir müssen Vollzeit neu definieren. Mit dem Anwesenheitswahn muss Schluss sein, denn Familien brauchen auch Zeit«, sagte sie der »Bild«-Zeitung (Mittwoch). Wenn in Betrieben stärker teamorientiert gearbeitet werde, könne man sich selbst in Spitzenjobs gegenseitig vertreten.

Der neue CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der »Rheinischen Post«, seine Partei freue sich auf die Arbeit »mit einer kraftvollen Kanzlerin«. »Wir werden als Parteien Politik für stabilen Wohlstand, soziale Sicherheit sowie solide Finanzen modern und näher an den Menschen erklären müssen.«

Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil forderte von der großen Koalition in Berlin ein beherzteres Vorgehen in der Bildungspolitik. In diesem Punkt könne er dem Koalitionspaket »nur verhalten zustimmen«, sagte er der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«. »Da werden sechs Milliarden Euro für vier Jahre investiert. Heruntergebrochen auf die Länder bleibt von dieser Summe allerdings nicht allzu viel übrig.«

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer äußerte sich in den »Ruhr Nachrichten« besorgt über »die teuren Rentenpläne, die Milliardensummen kosten und die Beitragszahler über diese Legislaturperiode hinaus langfristig massiv belasten werden«. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte dem Blatt hingegen: »Der Sozialstaat ist unterfinanziert.« Dafür seien Steuererhöhungen für die Reichen unumgänglich.

Union und SPD vereinigen im neuen Bundestag rund 80 Prozent der Mandate auf sich. Die Opposition besteht nur noch aus Linkspartei und Grünen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt pochte im Sender »MDR Info« erneut auf eine Stärkung der Oppositionsrechte. Ihre Partei benötige genügend Zeit, um Alternativen zur Regierungspolitik erläutern zu können. »Wir werden uns nicht mit ein paar geschenkten Debattenminuten zufriedengeben«, ergänzte sie in der »Passauer Neuen Presse«,

Nach einer repräsentativen Umfrage des Nachrichtensenders N24 halten 21 Prozent der Bundesbürger die neue Regierung für besser als die alte und weitere 41 Prozent für zumindest genauso gut. In der Ministerriege genießt Außenminister Steinmeier besonders viel Vertrauen, vier von fünf Befragten halten ihn für eine gute Besetzung (81 Prozent). Nur 36 Prozent sind allerdings mit der Entscheidung für Ursula von der Leyen (CDU) als Verteidigungsministerin einverstanden. dpa/nd

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