»Die Krise ist nicht überwunden«

Wirtschaftsforscher Gustav Horn im Interview über die wirtschaftliche Lage der Eurozone

  • Lesedauer: 3 Min.

Irland hat am Sonntag als erstes Land den Rettungsschirm verlassen. Ist damit die Eurokrise beendet?
Nein. Die Krise ist auf gar keinen Fall schon beendet. Irland ist zwar auf den Finanzmärkten etwas sicherer aufgestellt und man glaubt, dass Irland ohne das schützende Dach des Rettungsschirms wieder Kapital aufnehmen kann. Aber die Wirtschaftslage des Landes ist immer noch sehr schlecht. Und das gilt umso mehr für die Lage der anderen Krisenländer Spanien, Portugal und Italien.

In Ihrer jüngsten Prognose gehen Sie aber für nächstes Jahr von einem Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent für die Eurozone aus.
Zwar geht der Schrumpfungsprozess in Ländern wie Spanien allmählich zu Ende, doch heißt das nicht, dass die Lage dort gut ist. Diese Länder sind viel ärmer geworden. Sie haben ein deutlich niedrigeres Bruttoinlandsprodukt und extrem hohe Arbeitslosigkeit erreicht. Deswegen kann man nicht sagen, dass die Krise überwunden ist, nur weil diese Länder in ihrer Talfahrt unten angekommen sind.

Gilt diese Prognose auch für Griechenland?
Nein. In Griechenland wird die Austeritätspolitik fortgesetzt. Deswegen wird dort im Gegensatz zu den anderen Krisenstaaten der Schrumpfungsprozess weitergehen. Die griechische Wirtschaft wird weiter abrutschen und die Gesellschaft noch mehr verarmen. Alleine schon deswegen kann man nicht sagen, dass die Krise überwunden ist.

Europa ist also noch nicht über dem Berg. Gibt es etwas, das die Eurokrise wieder verschlimmern könnte?
Eine Gefahr ist, dass die Europäische Zentralbank (EZB) verfrüht ankündigen könnte, ihre Aufkäufe von Staatsanleihen zu beenden.

Was würde dann passieren?
In dem Moment wären die Kapitalmärkte sofort wieder verunsichert. Das würde wahrscheinlich auch Irland wieder unter den Rettungsschirm treiben, und es gäbe die gleichen Turbulenzen wie schon in den Jahren 2009 und 2010.

In Deutschland, heißt es, seien die Zinsen zurzeit zu niedrig.
Das halte ich für eine völlig verfehlte und größtenteils interessengeleitete Diskussion.

Warum sind Sie dieser Meinung?
Hier wird das Interesse des Sparers über das der Gesamtwirtschaft gestellt. Denn diese niedrigen Zinsen haben einen Sinn: Wir sollen jetzt nicht sparen, sondern unser Geld ausgeben, um die Wirtschaft wieder in Gang zubringen.

In Deutschland scheint diese Strategie aufzugehen. Die Menschen konsumieren wieder mehr und die Importe in die Bundesrepublik steigen. Führt das auch dazu, dass die Eurozone stabilisiert wird?
Dass die privaten Konsumausgaben hierzulande steigen, liegt vor allem daran, dass die Menschen aufgrund von höheren Tarifabschlüssen wieder mehr Geld in der Tasche haben. Das ist zunächst ein Stabilitätsanker für die deutsche Wirtschaft selbst. Aber weil sie die wichtigste im Euroraum ist, hat dies auch Auswirkungen auf die gesamteuropäische Wirtschaft. Das ist der Pfeiler, auf dem jetzt die meisten Hoffnungen ruhen.

Könnte die Eurokrise Deutschland wieder auf die Füße fallen?
Wenn die Wirtschaft weiterhin so vor sich hin dümpelt und allein die Aktionen der EZB den Euroraum zusammenhalten, wird man irgendwann an eine Grenze kommen. Wachstumsraten um die ein Prozent in Deutschland und bestenfalls Stagnation in den Krisenländern tragen zu keinem stabilen politischen Prozess bei.

Was muss getan werden, damit dies nicht so bleibt?
Sicherlich müssen einige Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Das hilft aber alles nichts, wenn es keine Nachfrage gibt. Da könnte auch Deutschland viel für die konjunkturelle Belebung in Europa tun. Etwa, indem die Investitionsoffensive, die im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielte, auch wirklich in angemessenem Umfang umgesetzt wird. Dies wäre nicht nur gut für Deutschland, sondern auch für ganz Europa.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal