Die Mörder kamen vor Sonnenaufgang

In Zentralafrika kämpfen Rebellengruppen um die Macht, indem sie Christen und Muslime gegeneinander hetzen

  • Marc Engelhardt, Genf/Bangui
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Zentralafrikanische Republik kommt auch kurz vor Weihnachten nicht zur Ruhe. Schwerer Gewalt von Milizen und Bürgerwehren fielen seit Anfang des Monats fast 1000 Menschen zum Opfer.

Die Angreifer kamen zwei Stunden vor Sonnenaufgang. »Es war vier Uhr in der Frühe, wir waren in der Moschee beim Gebet«, berichtet der Imam von Zéré, einem Marktflecken im Nordwesten der Zentralafrikanischen Republik. Die Stimmung im Dorf war angespannt, seit dort einige Tage zuvor fünf Kämpfer der Séléka-Bewegung Stellung bezogen hatten. Doch mit solch einem Angriff hatte in Zéré niemand gerechnet: Gut 100 Mann stürmen das Dorf und richten ein Massaker an.

»Ich war gerade dabei, vor dem Haus zu kochen«, erinnert sich die Frau des Distriktchefs, die überlebt hat. »Sie haben meinem Mann mit einer Machete die Kehle durchgeschnitten, dann haben sie das Haus angezündet und seinen Leichnam in die Flammen geworfen. Meinem 13-jährigen Sohn haben sie befohlen, sich auf den Boden zu legen, dann haben sie ihn mit zwei Machetenhieben getötet.«

Sie, das sind Milizen der Anti-Balaka, die seit September gegen die Séléka kämpfen. Beide Seiten morden ohne Schonung. Beiden, Séléka wie Anti-Balaka, werden Kriegsverbrechen in großem Stil vorgeworfen. Und ein Ende der Gewalt ist derzeit nicht in Sicht - im Gegenteil: Fast täglich wird es schlimmer.

Peter Bouckaert hat den Massenmord von Zéré und viele ähnliche Vorfälle für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentiert. Vier Wochen haben er und seine Kollegen in den vergangenen Monaten mit Opfern, Tätern und Zeugen gesprochen. Das Ergebnis ist ein düsteres Bild, in dessen Zentrum der Kampf um die Macht in einem der ärmsten Länder der Welt steht.

Knapp fünf Millionen Menschen leben in der Zentralafrikanischen Republik, die doppelt so groß ist wie Polen. Gold, Diamanten, Holz, Uran und vermutlich auch Öl gibt es in dem Land, das seit der Unabhängigkeitserklärung 1960 noch keinen friedlichen Regierungswechsel erlebt hat. Zuletzt putschte im März die Séléka-Bewegung den Autokraten François Bozizé aus dem Amt, der immerhin zehn Jahre auf seinem Posten ausgehalten hatte. Bozizés Nachfolger Michel Djotodia brach gleich sein erstes Versprechen - ndass seine Truppen friedlich bleiben würden.

Nur Stunden nach Bozizés Flucht plünderten die Séléka-Einheiten die Hauptstadt Bangui, vergewaltigten und mordeten. Wer von der alten Staatsmacht noch geblieben war, habe seine Uniform versteckt und fleißig mitgeplündert, heißt es in Bangui. Die dort stationierten französischen Truppen taten das, was sie in der Vergangenheit bei ähnlichen Fällen auch getan hatten: Sie geleiteten die Ausländer sicher zum Flughafen.

Dass die neuen Herren erst einmal plündern, ist man in Bangui gewohnt. So war es auch 2003, als Bozizé dort einzog. Doch was dann kam, war neu. Die Séléka-Leute zogen nicht in die Kasernen ein, sondern plündernd durch das Land. So brutal waren ihre Übergriffe, dass Putschistenpräsident Djotodia seine eigene Bewegung schließlich verbot.

Die Ex-Séléka, wie sie seitdem heißt, scheint das nicht zu stören. Und Peter Bouckaert sieht Anhaltspunkte dafür, dass zumindest enge Vertraute Djotodias auf deren Mitglieder immer noch Einfluss ausüben. »Wir haben Belege dafür, dass sie Anweisungen aus Bangui folgen - in einem Fall ist ein General von Bangui nach Bossangoa im Norden gereist, um dort wütenden Ex-Séléka-Truppen zu befehlen, in die Baracken zurückzukehren - das haben sie dann auch getan.«

Dass die Ex-Séléka bis heute Angst und Terror verbreitet, gehört zu ihrer Einschüchterungsstrategie. Die Vereinten Nationen schätzen, dass fast eine halbe Million Zentralafrikaner aus ihren Häusern geflohen sind. Viele, berichtet Bouckaert, leben unter primitivsten Umständen im Busch. Wo immer die Kämpfer der Ex-Séléka seit März auftauchen, fliehen die Bewohner.

Der Ablauf ist stets ähnlich, weiß Peter Bouckaert: »Sie kommen in Geländewagen, fahren mit hoher Geschwindigkeit in ein Dorf hinein und eröffnen noch aus den Wagen heraus das Feuer. Sie töten, wen sie können, und stecken danach das Dorf in Brand.« Die meisten Dörfer in der dünn besiedelten Zentralafrikanischen Republik liegen in der Nähe von Hauptstraßen. »Deshalb sind sie solchen Angriffen vergleichsweise schutzlos ausgeliefert.«

Dass derart wahllose Brutalität außer Angst auch Hass auslöst, überrascht kaum. Doch was die (Ex-)Séléka - absichtlich oder nicht - verursacht haben, ist ein Desaster, das das Land zu zerreißen droht. »Die Ex-Séléka kommen aus dem Nordosten, der einzigen Region, die mehrheitlich von Muslimen bevölkert ist«, erläutert Bouckaert. »Dazu kommen Kämpfer und Söldner aus Tschad und aus Darfur in Sudan, darunter ehemalige Dschandschawid.« Die »berittenen Teufel«, so wird Dschandschawid sinngemäß übersetzt, haben schon in Darfur zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen. Sie sind Muslime, wie auch die Ex-Séléka fast ausschließlich muslimisch sind. »Wenn sich Kommandeure verständigen, dann auf Arabisch - in einer Sprache, die in der Zentralafrikanischen Republik eigentlich nicht gesprochen wird.« Auch deshalb würden die Ex-Séléka als muslimische Besatzer empfunden.

Die Anti-Balaka, die als provisorisch bewaffnete Bürgerwehr ihren Anfang nahm, nutzt diese Angst für sich: Inzwischen geriert sie sich als christliche Armee auf dem Kreuzzug gegen alle Muslime im Land, ob Ex-Séléka oder nicht. Dabei nutzen die Strategen der Anti-Balaka die Tatsache aus, dass die muslimische Minderheit - ihr Anteil an der Bevölkerung wird auf 15 Prozent geschätzt - schon lange Opfer von Hass und Neid ist. Viele Muslime sind traditionell Händler und haben es mindestens zu bescheidenem Wohlstand gebracht - anders als die Mehrheit der Zentralafrikaner, die vom eigenen Anbau, also subsistent lebt. Dann gibt es noch die nomadischen Fulbe, die ebenfalls muslimischen Glaubens sind und mit ihren Rinderherden durchs Land ziehen. Die Rinderherden sind wandelnde Reichtümer, zudem streiten die Nomaden mit der sesshaften Bevölkerung, also vor allem Christen, immer wieder um Landrechte.

Hass auf Muslime zu schüren, war demnach nicht schwierig. Von den 56 Toten in Zéré, so sagt der Imam, waren nur zwei Kämpfer der Ex-Séléka. Drei weitere konnten fliehen, die restlichen 54 Toten waren Zivilisten. Der Imam weiß um die Parolen, die die Anti-Balaka verbreitet: Wir reinigen das Land von allen Muslimen, heißt es da. Doch in Wirklichkeit, sagt er, habe der Angriff auf sein Dorf mit Religion überhaupt nichts zu tun gehabt. »Das war ein Angriff von Bozizé-Anhängern: Sie hatten gute militärische Ausrüstung, und sie trugen Uniformen.« Auch rote Barette, Kennzeichen von Bozizés gefürchteter Präsidentengarde, wollen viele gesehen haben.

»Die Ex-Balaka führen inzwischen sehr koordinierte Angriffe aus«, bestätigt Peter Bouckaert. Daran, dass Anhänger des gestürzten Präsidenten an den Angriffen der Anti-Balaka beteiligt sind, zweifelt er nicht. »Ob Bozizé aus dem Exil Befehle gibt, kann man indes nicht eindeutig beweisen - die Lage ist einfach sehr verworren.«

Unter dem Kampf um die Macht in der zerschossenen Hauptstadt Bangui leidet unterdessen die einfache Bevölkerung. Während Djotodia und Bozizé Hass säen, hungern die Menschen und sterben an simplen Infektionen. Hilfsorganisationen hoffen, dass möglichst bald eine geplante afrikanische Friedensmission die losgelassenen Milizen bändigen kann - dann wäre zumindest ein bisschen Hilfe für die Ärmsten möglich.

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