Europa gibt‘s auch in rot

Die europäische Integration ist ein historischer Prozess, für dessen Fortsetzung die Linke kämpfen muss

  • Lesedauer: 18 Min.

Die europäische Integration ist ein historischer Prozess, für dessen Fortsetzung die Linke kämpfen muss! Weder Eurokrise, Troika-Politik noch Aufrüstung und Demokratiedefizit könnten wir etwas Substantielles entgegen setzen, würden wir uns aus der europäischen Integration zurückziehen. Wir sagen aber auch klar: Wir Linken wollen einen anderen Weg der europäischen Integration erkämpfen ! Eine starke Linke in Europa ist unverzichtbar, um einen menschenwürdigen Ausweg aus der janusköpfigen Krise zu ermöglichen. Es geht uns daher nicht um die Frage »Nationalstaat oder EU«.

Wir stehen für konkrete Politik im Interesse der Menschen – auf allen Ebenen ! Besonders die am meisten von der Krise Betroffenen brauchen jetzt den Politikwechsel ! Es geht um die politischen Mehrheiten, die wir dafür erreichen müssen. Einen Rückzug in nationale Träumereien wollen wir uns nicht leisten; eine linke AfD braucht niemand. Aber die Menschen in der EU brauchen dringend linke Politik ! Eine überzeugende linke Mehrebenen-Politik ist gefragt. Die Wirklichkeit ist doch: Europapolitik beginnt in der Kommune und Kommunalpolitik in der EU, ob es dabei um die Unterbringung von Flüchtlingen, die Re-Kommunalisierung der Energieversorgung, Infrastrukturentwicklung oder die Konzessionsvergabe bei der Wasserversorgung geht. Europapolitik betrifft alle Menschen direkt.

Wir müssen die Politik in der EU den Neoliberalen entreißen. Die Linke streitet für eine europäische Gesellschaft, die für soziale Emanzipation, kulturelle Offenheit und demokratische Selbstbestimmung ihrer Bürgerinnen und Bürger steht. Europa. Besser. Links ! Wir wollen die EU verändern. Also formulieren wir unsere inhaltlichen Ziele konstruktiv und klar. So können die Menschen, die auf uns setzen, sehen, wo die Reise mit uns hingeht.

Die Politik in der EU steht 2014 vor großen Herausforderungen: Die Entscheidungsfindung muss demokratisch und transparent werden. Das zerstörerische Sparregime in den von der Krise betroffenen Mitgliedsstaaten wollen wir beenden. Denn wer die Saat vertrocknen lässt, kann die Früchte nicht ernten: Die neoliberale Schuldenpolitik hat von einer schwierigen Situation in eine gefährliche Abwärtsspirale geführt. Die humanitäre Notlage bereitet den Boden für Rechtspopulisten und Faschisten; der politische Mord an dem Musiker Pavlos Fissas in Griechenland durch ein Mitglied der Goldenen Morgenröte zeigt, wie brutal die Folgen sind ! 2014 geht es darum, rechtsextremen und rechtspopulistischen Strömungen entschieden entgegen zu treten. Wir müssen klarstellen, dass von Hasspredigern und Nationalisten keine tauglichen Lösungen herbeigeführt werden können. Es geht um ein Leben in Menschenwürde! Zuerst müssen dafür die Voraussetzungen geschaffen werden! Dann ist eine nachhaltige Lösung für die Schuldenkrise zu verhandeln. Vorbild kann das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sein. Damit wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der Grundstein für den Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik gelegt. Wir Linken fordern eine EU-koordinierte, umverteilende Steuerpolitik – weil Investitionen in ökologisches Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung und sozialen Aufstieg dringend notwendig sind! Beginnen wir mit einer Finanztransaktionssteuer, die nicht auf Druck der Finanzlobby von konservativen Politikern in Kommission (Barroso) und Rat (Merkel, Cameron) durchlöchert wird. Demokratische Politik muss den Rahmen für die Wirtschaft schaffen, nicht umgekehrt! Und wirtschaftliche Entscheidungen bedürfen der demokratischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger – von der Investition, über die Produktion bis hin zum Absatz. Weiterhin die »parlamentarische Mitbestimmung« »marktkonform« zu gestalten (Angela Merkel 2011), kommt mit uns nicht in Frage. Die Linke ist nicht käuflich. Wir stehen für eine Umverteilung von Macht – zugunsten der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Angestellten, der Auszubildenden, der Rentnerinnen und Rentner, der kleinen Selbstständigen und der Mittelständler, der Studentinnen und Studenten, der Arbeitssuchenden, der Migrantinnen und Migranten, kurz: Zugunsten der Demokratie.

Brauchen wir »mehr Europa«? Ja – wenn Demokratisierung, Solidarität, soziale Kohäsion, die Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung, gute Arbeit sowie Abbau der finanziellen und wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone, in der EU und weltweit gemeint sind; ja, wenn es um den Schutz von Klima, Natur und Umwelt, eine menschliche Einwanderungs- und Asylpolitik, die Geschlechtergleichstellung und die Verantwortung der EU für eine friedliche und nachhaltige Lösung globaler Probleme geht – also um politische Aufgaben, die längst nicht mehr auf nationaler Ebene allein gelöst werden können!

Ein entschiedenes Nein jedoch zu einem Europa der Kapitaloligarchen und Wirtschaftslobbyisten, in dem auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten Demokratie und soziale Standards abgebaut werden. Auch Klauseln wie die »schrittweise Verbesserung der militärischen Fähigkeiten« gehören aus dem EU-Recht verbannt.

Wir streiten für konkrete Maßnahmen wie die soziale Fortschrittsklausel im Primärrecht ! Die sorgt dafür, dass die sozialen Grundrechte der Menschen stets vor den Gewinninteressen mächtigerer Marktteilnehmer geschützt werden. Wichtige politische Entscheidungen, wie jene über den ESM oder den Fiskalpakt, dürfen nicht länger von einem Direktorat der Regierungschefs hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Grundsätzlich brauchen wir eine deutlich größere Mitsprache und Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger und zwar überall dort, wo Entscheidungen alle Europäerinnen und Europäer betreffen. Weiterhin muss das Europäische Parlament (EP) als die einzige gewählte repräsentative parlamentarische Vertretung aller Menschen in der EU gegenüber dem Europäischen Rat gestärkt werden. Deshalb muss das EP das volle Gesetzesinitiativrecht erhalten, so schnell wie möglich und auf vertraglicher Grundlage! Die Mitgliedsstaaten können ihre Interessen im Gesetzgebungsprozess in der zweiten Kammer (Rat), ähnlich dem Bundesrat, wahrnehmen. Auch eine Reform des Wahlrechts unterstützen wir: In allen Mitgliedsstaaten sollte nach den gleichen Bedingungen gewählt werden. Echte Wahlkreise mit Direktmandaten sichern die Bindung der Abgeordneten an die Heimatgemeinden. Über europäische Wahllisten muss es zudem möglich werden, auch für Kandidatinnen und Kandidaten europäischer Parteien zu stimmen, die aus anderen Mitgliedsstaaten stammen. Die Weiterentwicklung der Europäischen Linkspartei (EL) und unserer konföderalen Linksfraktion im EP, die Vereinigte Europäische Linke / Nordische Grüne Linke (GUE / NGL), ist deshalb für uns Linke von höchster Bedeutung! Sie beginnt mit einer gemeinsamen inhaltlichen Plattform der EL und mit einer europäischen Spitzenkandidatin beziehungsweise einem -kandidaten für den gemeinsamen Europawahlkampf 2014!

EU-Politik muss endlich transparent werden. Die EUKommission sollte direkt vom EP gewählt werden und mit ihrer Politik von der parlamentarischen Mehrheit abhängig sein. Regierung und Opposition werden so sichtbar; die politische Macht kann endlich durchgängig parlamentarisch kontrolliert werden. Dann wissen die Wählerinnen und Wähler, welche fraktionelle Mehrheit für welche Entscheidung in der EU verantwortlich ist. Es gibt dann kein diffuses »Brüssel hat entschieden« mehr, wenn es in Wirklichkeit eine konservativ-neoliberale Mehrheit war. Die EU kann und darf natürlich kein Zentralstaat werden ! Nur dort, wo es wirklich notwendig ist, sollten Entscheidungen auf der höchsten politischen Ebene getroffen werden, etwa bei der Regulierung des gemeinsamen Wirtschaftsraumes. Dieses Prinzip heißt Subsidiarität. In einer lebendigen föderalen Demokratie kann vieles besser auf nationaler Ebene oder sogar darunter entschieden werden. Wir kennen das: Als Linke übernehmen wir vielfach Verantwortung, mal als Bürgermeisterin, mal in der Landesregierung, mal als Oppositionsführerin im Bundestag.

Die Linke verfügt über Mehrebenen-Kompetenz. Auf EU-Ebene stemmen wir uns weiter dagegen, dass nationale soziale und demokratische Errungenschaften, die durch die Arbeiterbewegungen im letzten und vorletzten Jahrhundert schmerzhaft erkämpft wurden, über den Umweg EU angetastet werden ! Die innerparteiliche Zusammenarbeit zwischen der europäischen, der nationalen, regionalen und kommunalen Ebene müssen wir in Zukunft noch besser ausbauen. Wir sind eine Europapartei.

Wir stehen für ein soziales Europa, das die individuelle Freiheit aller Menschen schützt ! Europäische Gesetze, also Richtlinien und Verordnungen, müssen dazu dienen, jedem Menschen in der EU ein Leben frei von Armut und Ausbeutung zu garantieren. Denn Löhne und Einkommen unterhalb der Armutsgrenze verletzen die Grundrechte der Betroffenen ! Die Abschaffung von Armut bedeutet eine freiere Gesellschaft. Hier bedarf es dringend einer Stärkung des Öffentlichen. Soziale und ökologische EU-Standards sind notwendig. Beispielsweise können armutsfeste Mindestlöhne und -einkommen in allen Mitgliedsstaaten, EU-weite Verbindlichkeit von Tarifverträgen und Mindeststeuersätze dafür sorgen, dass die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen nicht mehr dazu missbraucht werden kann, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Grenzen hinweg gegeneinander auszuspielen – und so auszubeuten. Wenn ein Unternehmen soziale und ökologische Standards nicht erfüllen kann oder will, kann es eben auf dem gemeinsamen Markt nicht bestehen Mindeststandards müssen deshalb lückenlos und für alle gelten. Eine Arbeitszeitrichtlinie etwa, die mit einem sogenannten individuellen Opt-Out durchlöchert wird (das heißt die Höchstarbeitszeit ist begrenzt – es sei denn, mit den Beschäftigten wird etwas anderes »vereinbart«) ist inakzeptabel! Nur eine starke Linke im EP sorgt für lückenlosen individuellen Arbeitsschutz in Europa! Ziehen wir die EU aus dem neoliberalen Sumpf: Wir wollen qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen ausbauen, mit Vorgaben aus EU-Richtlinien. Dem Privatisierungswahn, der Teil-Ursache der Krise und nicht ihre Lösung ist, stellen wir uns entgegen.

Wir können die Lebensqualität in allen Mitgliedsstaaten verbessern, ohne, dass alles harmonisiert werden muss. Denn über EU-Standards können verschiedene Lösungswege zum Ziel führen! Es gilt, was Lothar Bisky uns als Vermächtnis hinterlassen hat: »Bei der EU-Integration kann man mit Macht gar nichts ausrichten, sondern nur mit überzeugenden Lösungen von Problemen«. Das ist linke Realpolitik wider die neoliberale Ideologie.

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker – und sorgt für stabile wirtschaftliche Verhältnisse und Wohlstand für alle! Gregor Gysi warnte 1998 im Bundestag davor, eine gemeinsame Währung einzuführen, bevor die notwendigen Voraussetzungen dafür auf EU-Ebene geschaffen sind. Niemand hörte darauf. Der Euro kam – und dann die Krise, vor der wir Linken gewarnt hatten. Die Folgen sind unsozial, undemokratisch und teuer. Noch ist ein umsteuern möglich. Der Euro kann nur funktionieren, wenn es einen europäischen
wirtschaftspolitischen Rahmen dafür gibt. Es kann nur eine gemeinsame Politik für eine gemeinsame Währung geben – alles andere schadet Europa. Das ist logisch, wurde aber bis zum Ausbruch der Krise von allen – außer der Linken – ignoriert. Austerität ist falsch: Schulden können nur durch eine vernünftige Einnahmenpolitik abgebaut werden, niemals durch die Demontage der Wirtschaft. Linke EU-Stabilitätspolitik setzt mindestens folgende Maßnahmen um: Ein finanzkräftiger EU-Haushalt mit eigenständigen Steuereinnahmen wird eingerichtet, der nicht von den Einzelinteressen mächtiger Mitgliedsstaaten abhängig ist. Nur ein kluger Finanzausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten kann ein weiteres zerstörerisches Auseinanderdriften der Volkswirtschaften, wie wir es derzeit erleben, verhindern. Auch gemeinsame EU-Anleihen (Eurobonds) sorgen für Stabilität. Denn sie verhindern, dass die Großbanken und Hedgefonds weiter gegen die Mitgliedsstaaten spekulieren können, durch welche sie zuvor mit Steuergeldern gerettet wurden. Eine reformierte regionale Förderpolitik befeuert gezielt das sozial-ökologische Wachstum und die Beseitigung von Armut in den wirtschaftsschwachen Regionen der EU. Sie darf nicht, wie derzeit vom Rat angestrebt, zum Druckmittel für Privatisierungen und Sozialabbau pervertiert werden! Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) wird neben der Geldwertstabilität auch auf Wachstum und Vollbeschäftigung ausgerichtet und der demokratischen Kontrolle durch EP und Rat unterworfen – Goldman-Sachs-Alumnus Mario Draghi wollen wir genau auf die Finger schauen!

Stichwort Bankenunion: Die neue bei der EZB angesiedelte Bankenaufsicht muss jede Praktik und jedes Finanzprodukt auf seinen volkswirtschaftlichen Nutzen und das enthaltene Risiko prüfen, bevor es zugelassen werden kann. Sogenannte systemrelevante Banken wollen wir in kleinere Einheiten zergliedern, so dass bei einer Insolvenz die öffentliche Hand nicht mehr erpresst wird. Die Spareinlagen der Menschen werden vor Spekulation geschützt. Mindeststeuersätze beenden die zerstörerische Standortkonkurrenz in der EU. Steueroasen werden geschlossen; die EU wirkt auf die internationale Ächtung derselben hin. Millionenschwere Steuerflucht ist ein Verbrechen; die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen trägt dazu bei, sie aufzudecken. Wer Unternehmen anlocken will, kann dies mit einer guten öffentlichen Verwaltung, guter Infrastruktur, hohen sozialen Standards, Betreuungsangeboten und hervorragenden Wissenschafts-, Bildungs- und Fortbildungseinrichtungen tun. Ohne ausreichende Steuereinnahmen funktioniert dies aber nicht ! Ärmere Regionen erhalten dafür extra Aufbauhilfe aus einem EU-Finanzausgleich und der regionalen Förderpolitik.

Wir wollen auch die letzten Mauern in Europa niederreißen! Wir stehen für eine Freizügigkeit, die für alle Menschen gilt, unabhängig von Pass und Geldbeutel. Wer aus Rumänien, Bulgarien oder einem anderen EU-Land nach Deutschland oder Frankreich zieht, muss das individuelle Recht haben, dies zu tun – egal, welche persönlichen Gründe dahinter stehen. Nicht nur Unternehmen haben das Recht, sich den Ort mit den besten Bedingungen auszusuchen: Individuelle Niederlassungsfreiheit ist ein Grundrecht in jeder freien Gesellschaft! Was für den Umzug von Konstanz nach Kiel gilt, muss auch für den von Bratislava nach Bonn gelten. Besonderen Schutz und Förderung braucht, wer, wie etwa Roma und Sinti, vor Diskriminierung oder wirtschaftlicher Ausgrenzung flieht.

Wer aus anderen Teilen der Welt vor Gewalt, Krieg und Armut nach Europa flüchtet, dem muss unter allen Umständen das Menschenrecht auf Aufnahme und Schutz garantiert werden. Die Kommunen, die Menschen aufnehmen und integrieren, sollten zukünftig direkt von der EU unterstützt werden, durch finanzielle Mittel und Beratung. Wer dagegen öffentlich in hetzerischer Weise von Einwanderern als »Sozialbetrügern« und von »Missbrauch der Freizügigkeit« schwadroniert, gehört mitunter wegen Volksverhetzung strafrechtlich belangt – auch wenn es sich um den konservativen Minister einer Regierung handelt.

Wir wollen überall ein gesellschaftliches Miteinander fördern, in welchem der Zuzug von Menschen aus anderen Ländern eine Bereicherung bedeutet. Die mörderische Mauer, die um die EU errichtet wurde, wollen wir einreißen! Der Tot von fast 20.000 Menschen an den EU-Außengrenzen seit 1993 ist ein kolossales Menschenrechtsversagen, für das sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten verantworten müssen. Länder wie Griechenland werden damit allein gelassen, die vielen Einwanderer unterzubringen, die dort ankommen. Die Bundesrepublik stiehlt sich mit der inzwischen dritten Auflage der sogenannten Dublin-Gesetze aus der Verantwortung. Das Ergebnis ist unmenschliches Elend. Dabei handelt es sich um ein europäisches Problem, das seit 20 Jahren einer menschenwürdigen Lösung harrt! Die Aufnahme und Integration von Einwanderern aus Europa und der ganzen Welt müssen zu einer zentralen Kompetenz linker Europapolitik ausgebaut werden: Legen wir gemeinsam mit unseren europäischen Genossinnen und Genossen in der EL die Konzepte auf den Tisch! Es handelt sich um eine wesentliche politische Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Das Private bleibt das Private! Individueller Datenschutz und Freiheit im Internet sind in den letzten Jahren zu einem hart umkämpften politischen Feld auf EU-Ebene geworden. Stellvertreten dafür stehen Kürzel wie PRISM, ACTA, SWIFT und die Skandale um rassistische Polizeidatenbanken für Roma in einigen Mitgliedsstaaten. Wir wollen die Menschen in der EU vor Staaten mit ihren Sicherheitsapparaten und Geheimdiensten schützen und lehnen daher eine Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab. Mächtigen Unternehmen mit ihrem Hunger nach kommerziell verwertbaren Daten nehmen wir den Teller weg ! Eine starke Linke im EP setzt dem Überwachungswahn der Rechten und der völligen Kommerzialisierung privater Informationen die informationelle Selbstbestimmung entgegen ! Die Kämpfe um PRISM, SWIFT und ACTA waren nur der Anfang – die Auseinandersetzungen um Freiheit und Demokratie gehen weiter. Als europäische Bürgerrechtspartei ist die Linke im EP dafür wichtiger denn je!

Fair handeln: Für intelligente Solidarität ! Nicht nur die europäische Integration geht weiter. Die ganze Welt wächst immer enger zusammen – in den Produktionsketten und im Handel, in der digitalen Kommunikation, beim Klimaschutz und bei der Migration. Eine moderne Handelspolitik muss all diese Themen einbeziehen. Deshalb ist sie ein so wichtiges Politikfeld für die Linke im EP: Die internationalen Handelsverträge werden auf EU-Ebene abgeschlossen. Wir kämpfen für hohe soziale und ökologische Schutzstandards in diesen Verträgen. Auch ohne gemeinsame Regeln für Verbraucherschutz, den Schutz der Gesundheit, der Umwelt und des Klimas geht es nicht. Verträge müssen transparent und demokratisch ausgehandelt werden. Die Beteiligung der Gesellschaft ist Pflicht ! Gewerkschaften, Sozialverbände, Landwirte sowie Umwelt- und Verbraucherschützer gehören mit an den Verhandlungstisch!

Wir sind solidarisch mit den Arbeiterbewegungen und den Menschenrechtsinitiativen in den aufstrebenden Wirtschaftsräumen. Menschen in anderen Ländern werden ausgebeutet, damit wir in Europa billige Produkte kaufen können: Dies ist eine zynische und nicht akzeptable Folge der vom Neoliberalismus geprägten internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Appelle zur freiwilligen Selbstverpflichtung von Konzernen, soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen, sind bloß heiße Luft ! Wir kämpfen für bindende, sanktionsbewehrte Gesetze!

Wir Linken erkennen dabei das Recht der Menschen in Afrika, Asien und Südamerika an, selbst über ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu bestimmen. So können sie einen höheren Lebensstandard erreichen. Eine solche solidarische Handelspolitik ist unsere Alternative zu aggressiven Freihandelsabkommen. Auch zwischen der EU-Kommission und der Regierung der USA haben Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen begonnen, das sogenannte TTIP. Schon jetzt zeichnet sich ab: Das geplante Abkommen gefährdet viele Errungenschaften im Sozial-, Verbraucher- und Umweltschutz. Schutzstandards werden zu Handelsbarrieren erklärt. Dieser Ansatz ist eine Gefahr für die Demokratie und für unsere Lebensqualität! Wir Linken im EP sind herausgefordert: Schaffen wir gemeinsam mit unseren Partnern aus den USA eine Gegenbewegung, die breit in der Gesellschaft verankert ist! Zu unseren ersten Forderungen gehört: Solange nicht die Spionage der US-Geheimdienste und ihrer europäischen Handlanger eingestellt und aufgeklärt ist, solange darf es keine weitere Verhandlungsrunde geben!

In vielen Regionen der Welt führt eine rücksichtslose Handelspolitik der EU zu Armut und Hunger. Instabilität und Unruhen sind die Folge. Die EU steht in der historischen Pflicht, Armut in der Welt durch eine faire Handels- und Entwicklungspolitik zu überwinden ! Mit unseren Partnern in den gemeinsamen parlamentarischen Ausschüssen von Entwicklungsländern und EP oder mit den progressiven linken Regierungen Lateinamerikas arbeiten wir für die konsequente Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele. Die Märkte der Entwicklungsländer dürfen nicht länger mit überschüssigen, subventionierten Nahrungsmitteln aus der EU oder den USA überflutet werden. Das zerstört die Existenzen der Bauern vor Ort. Die EU muss stattdessen ihre Märkte für Produkte aus den ärmsten Entwicklungsländern öffnen! Sie soll sich dafür einsetzen, dass andere Industrie- und Schwellenländer diesem Beispiel folgen. Das wäre ein aktiver Beitrag für Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität.

Weltweit hungern heute eine Milliarde Menschen. Fast neun Millionen Menschen pro Jahr sterben an ihrem Hunger. Wir müssen Finanzspekulationen auf Nahrungsmittel stoppen !Auch der Landraub durch Investmentfonds muss verboten werden ! Für diese Ziele muss die EU ihre wirtschaftliche und politische Macht einsetzen. Dafür steht die Linke im EP. Entwicklung ist eine Frage intelligenter Solidarität ! Die Linke im EP streitet für ein Win-Win des sozialen Fortschritts in den Handelsbeziehungen !

Wir streiten für eine Renaissance der Diplomatie ! Denn der unumstößliche Grundsatz linker Außenpolitik ist: Demokratie, gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftlicher Aufschwung lassen sich nicht durch Krieg und Waffenexporte in die armen Regionen der Welt tragen ! Mitgliedsstaaten der EU führen Kriege in Regionen, die noch immer unter Nachwirkungen der jahrhundertelangen Kolonialherrschaft der Europäer leiden. Diktatoren in Nordafrika haben lange Zeit Geld aus Europa bekommen, um Flüchtlinge abzufangen, die sie dann in Lager steckten oder in der Wüste aussetzten.

Jede exportierte Waffe, Überwachungstechnologie oder Zutat für Chemiewaffen fördert Unterdrückung und zögert demokratische Revolutionen weiter hinaus. Nukleare Abrüstung und die umfassende Stärkung des Atomwaffensperrvertrages bleiben Aufgabe Nr. 1 internationaler Friedenspolitik. Eine konsequente EU-Friedenspolitik mit offensiver Friedensdiplomatie schafft Glaubwürdigkeit: Die Linke will aus der EU einen Anwalt für friedlichen Wandel machen. Der Kalte Krieg ist vorbei. Er muss jetzt auch raus aus den Beziehungen zwischen den Staaten. Anstelle der NATO wollen wir behutsam auf eine Weltsicherheitsarchitektur hinarbeiten, die auch Russland und China, Afrika und Lateinamerika einschließt. Wir wollen die Stärkung des Völkerrechts und eine massive Verrechtlichung der internationalen Beziehungen in einer immer stärker voneinander abhängigen Welt. Wir wollen keine neue Konfrontation der Großmächte ! Eine Reform der Vereinten Nationen sollte das Zeitalter einer neuen Friedensdiplomatie einläuten.

Die Energiewende muss auf die EU-Ebene getragen werden. Was bringt es, wenn ein Mitgliedstaat die Atomkraft abschafft, während der andere sie ausbaut ? Deshalb arbeiten wir auf europäischer Ebene für ein Ende von Euratom ! Es wird Zeit, die Energiewende zu einer europäischen Aufgabe zu machen. Dezentral erzeugte erneuerbare Energien brauchen europäische Netze und Speichersysteme. Die Mitgliedstaaten stehen vor unterschiedlichsten Problemen bei der Modernisierung der Energieversorgung: Der de-industrialisierte Süden könnte von einer europäischen Energiereform gezielt profitieren, etwa mit dem Ausbau der solaren Energieerzeugung in Griechenland, Spanien oder Süditalien. Osteuropäische Länder wie Polen oder Tschechien, die noch stark von Kohle abhängig sind, müssen mit EU-Hilfe sozialverträgliche Alternativen jenseits der Atomkraft geboten werden. Wenn die Energiewende nicht sozial gestaltet wird, droht Energiearmut mit noch mehr Kältetoten in den kommenden Wintern. Der ökologische Umbau wird nur europäisch gelingen – sozialverträglich wird er nur etwas mit einer starken Linken im EP !

Do it yourself! Um der europäischen Integration einen rettenden und nachhaltigen Linksdrall zu verpassen, bedarf es einer wirklich europäischen Linken. Die EU verändern können wir nicht einfach mit unseren national geprägten Konzepten aus Berlin, Madrid, Athen oder Prag: Ohne eine Vertiefung der Integration der europäischen Linken selbst werden wir den Kampf um Europas Zukunft nicht gewinnen können. Für ein europäisches Spiel brauchen wir ein europäisches Team. Wir müssen die Diskussion unserer politischen
Konzepte für die EU noch öfter, enger und zielorientierter mit unseren Partnern in der EL und der Linksfraktion im EP führen.

Seit der Ersten Internationalen 1864 hat die Zusammenarbeit der sozialistischen Linken in Europa und der Welt viele Höhen und Tiefen erlebt. Viele Momente der Solidarität und der Hoffnung prägen die Erinnerung, aber auch Narben sind vorhanden. Wir denken, im Jahr 2014 – hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges – ist es an der Zeit, einen neuen integrativen Schritt zu gehen und die EL und unsere Linksfraktion im EP weiterzuentwickeln. Die europäische Linke und die Menschen in Europa können dabei nur gewinnen. Packen wir es an.

Der hier dokumentierte Text ist die Einleitung einer Broschüre mit europapolitischen Texten, herausgegeben von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments Cornelia Ernst, Thomas Händel, Jürgen Klute, Martina Michels, Helmut Scholz, Gabriele Zimmer.

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