Beziehungskreis mit Dreieck und Quadrat

Andreas Hillger schrieb einen Bauhaus-Roman als menage a trois

  • Matthias Biskupek
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt einen Grundfehler der Rezensenten: Sie sagen, welches Buch sie hätten haben wollen, anstatt das Gelesene zu bewerten. Statt eines »Bauhaus-Romans« wie Andreas Hillger sein Buch »Gläserne Zeit« untertitelt, hätte der Rezensent gern all die Geschichten, Anekdoten, Biografien, Karneval-Beschreibungen und Projekte des Bauhauses während der Dessauer Zeit, also von 1926 bis 1932 in einem Report, einer Dokumentation, einem Groß-Feuilleton oder der Besichtigung eines Zeitalters gelesen.

Hillger beschreibt das Umfeld des Bauhauses, des heute bekannten und wieder restaurierten gläsernen Gebäudes in Dessau. Es bekam damals dank weitsichtiger Stadtväter eine Heimstatt dort, mit Meisterhäusern für Klee, Kandinsky, Moholy-Nagy, Schlemmer. Ein solches war dem Bauhaus-Gründer Walter Gropius in der Weimarer Zeit (1919-1925) nie vergönnt.

Der Autor beschreibt die Stadt Dessau mit historischem Stadtkern, Kirchen, neuen, modern geplanten Siedlungen der zwanziger Jahre; die Junkers-Werke von innen. Berühmte Bauhaus-Projekte kommen wahrlich ins Bild, wie die Bundesschule der Gewerkschaft in Bernau, von Hannes Meyer verantwortet, dem Kommunisten unter den Bauhaus-Direktoren. Der Zeitgeist der Zwanziger wird deutlich, wenn der Leser bei der Uraufführung der »Dreigroschenoper« im Berliner Theater am Schiffbauerdamm dabei sein kann und bei Saalschlachten, wenn Kommunisten und Nazis sich ihre wahren Lehren in die Köpfe hämmern wollen.

Andreas Hillger, viele Jahre Kulturredakteur der »Mitteldeutschen Zeitung«, hat, um alles zu erzählen, was er weiß - und das ist viel - drei Romanfiguren erdacht, die in einer Dreieckssituation agieren. Der Bauhausstudent Carl aus Berlin, der Werkstattleiter Lukas und die aus ihrem streng bürgerlichen Dessauer Elternhaus ausgebrochene Clara.

Den Figuren ordnet der Autor die drei geometrischen Bauhaus-Formen zu: Dreieck, Kreis, Quadrat. Über den Kapiteln stehen nun jeweils die passenden Figuren, mal wird die Geschichte eines einzigen erzählt, mal treffen sich alle drei.

Zwischen den Protagonisten passiert das, was im Beziehungsroman immer passiert: Liebe, Eifersucht, Flucht, Schwangerschaft und Abbruch, Babyglück, Häuschenbau und Familie, Glück und Streit. Ende 1932 ist der eine Mitglied der NSDAP, seine Frau Clara trägt den Mädchennamen Cohn, was ihrem Mann bis zu diesem Zeitpunkt offenbar nie auffiel, und der dritte versucht als Fotograf sein Glück in Berlin.

Der Autor kann gut erzählen, nutzt zeitgenössische Wörter: die Werbe-Branche, heute PR, heißt hier »Propagandaabteilung«. Nur einmal schreibt er »Studierende«, ein Wort, das erst heute genderkorrekt genutzt wird.

Die Romanhandlung empfand der Rezensent als leicht kitschig - um den Autor zu zitieren: »Schmalz und Salz« - auch vorhersehbar, all das Drumherum aber aufschlussreich. Gerade wenn es um DIE Kathedrale der Moderne geht, hätte man nicht das brave, abgenutzte Romankorsett bemühen müssen. All die realen Personen dieser Zeitgeschichte und die konkreten Handlungsorte sind spannender und überraschender, als der Beziehungskreis mit Dreieck und Quadrat.

Doch der Autor wollte Roman - das muss man ihm lassen: Es steht Roman auf dem Buch und es ist Roman drin. Was darüber hinaus drin steckt, hat der Rezensent neugierig nachgelesen, im Internet und Büchern in guter alter Drucktechnik. Gewiss: Nicht das schlechteste Resultat von Romanlektüre.

Andreas Hillger: Gläserne Zeit - Ein Bauhaus-Roman. Osburg Verlag. 238 S., geb., 19,95 €.

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