Buntes Treiben an der Kranzabwurfstelle

Schlussstrichfolklore und Gedenksimulation: Warum es nicht verwundert, dass Menschen ans Holocaust-Mahnmal urinierten

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher konnte es den Deutschen nicht schnell genug gehen mit dem Vergehen der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die fortwährende Rede vom Schlussstrich und davon, dass man auch mal vergessen können müsse, wuchs sich zur Obsession aus, gehörte lange zur deutschen Alltagsfolklore. Verstärkt in den letzten zwei Jahrzenten ist nun ein Vergangenheitsaufarbeitungsfuror zu beobachten, der wiederum auch einzig diesem einen Zweck zu dienen scheint: die Vergangenheit vergessen zu machen.

Man erinnere sich: Es ist ja nicht so gewesen, dass die Deutschen heftig nach einem »Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten Juden Europas« inmitten ihrer Hauptstadt verlangt hätten, weil sie sich nichts sehnlicher wünschten. Vielmehr verhielt es sich so, dass sie an der Stelle des »fußballfeldgroßen Alptraums« (Martin Walser), der sich wie ein Fremdkörper in ihrer Fanmeile und Deutschlandflaggenzone festgesetzt hat und sie an ihre und ihrer Vorfahren Verbrechen mahnen sollte, die sie doch so dringlich zu vergessen wünschten, lieber heute als morgen ein hübsches Parkhaus oder eine Fressmeile gesehen hätten.

Weswegen sich niemand wundern sollte, dass an Silvester angetrunkene Feiernde bzw. »aggressive Antisemiten« (Petra Pau) dort mit Feuerwerkskörpern umherschossen und gegen die Stelen urinierten, wie ein Video auf Youtube zeigt, das derzeit international Aufsehen erregt.

Der Skulpturenpark, als Kranzabwurfstelle, staatsräsonwichtige, in Beton gegossene Gedenksimulation konzipiert, dient bereits seit langem als Picknickplatz, Open-Air-Lounge und Chillout Area. Und als angesagte Location für Schulklassen, die dort Selfies schießen und mit obszönen Tags wie Yolocaust versehen.

Das Mahnmal war von Anfang an mit dem Vorhaben verbunden, die sogenannte Vergangenheitsbewältigung abzuschließen, indem man das lästige Gedenken an die NS-Verbrechen ein für alle mal in formschöne, repräsentative Betonquader gießt, die man bei Bedarf dem Ausland stolz herzeigen kann, während ehemaligen Zwangsarbeitern jede auch nur symbolische Entschädigung verweigert wird und ehemalige SS-Kommandanten ihre Rente vergnügt in bayerischen Altersheimen aufzehren: Schaut doch, wir Deutschen sind wieder gut!

»Ein Denkmal, zu dem die Deutschen gerne hingehen« (Gerhard Schröder, SPD), war gewünscht. Da konnte es nicht ausbleiben, dass das ebenso missliebige wie unverstandene Bauwerk seinem letztgültigen Zweck zugeführt wurde: dem des Urinals und Rummelplatzes.

Hierzu passt die Rolle der Polizisten, bei denen man beobachten kann, wie sie liebevoll ihren Knüppel am Gürtel streicheln, wenn sie sehen, dass ein Fahrgast in der S-Bahn seine Beine auf einen Sitz legt, aber die Schultern zucken, wenn »Hooligans« sich am Holocaustmahnmal zu schaffen machen.

Wie stets wird auch nicht über die Gründe für die Verrohung und Ignoranz von Menschen gesprochen, die Holocaust-Gedenkorte schänden, sondern zum x-ten Mal über »Sicherheitskonzepte«, das »deutsche Ansehen« und das befürchtete »verheerende Bild von Berlin im Ausland«. »Zehn Sicherheitsleute sind viel zu wenig. Da müssen mindestens 50 Uniformierte auf- und abmarschieren«, sagte Lea Rosh, die Initiatorin des Holocaustmahnmals, der »taz«. Abgesehen von der Frage, ob in Deutschland tatsächlich ein Mangel an auf- und abmarschierenden Uniformierten herrscht und man diese ausgerechnet zum Schutz eines Denkmals abkommandieren sollte, das an die Opfer auf- und abmarschierender Uniformierter erinnern soll, ist der Ruf nach mehr Polizei - der im Übrigen das von ihr zu schützende Objekt genauso gleichgültig ist wie den »Betrunkenen« das von ihnen verunreinigte - nicht hilfreich. Andererseits ist diesem Vorschlag ein gewisser Charme auch nicht abzusprechen: Ein von bis an die Zähne bewaffneten Polizisten umstelltes und eingezäuntes Denkmalsareal, das vor einem randalierwütigen, antisemitischen Amüsiermob beschützt werden muss. Das würde im Ausland wenigstens einen realistischen Eindruck vom aktuellen Stand der Vergangenheitsaufarbeitung vermitteln.

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