Arabisch und Türkisch genießen kein hohes Prestige

Bei der Förderung der Herkunftssprache für Migrantenkinder gehen Berlin und Hamburg unterschiedliche Wege

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Urteil von Margot M.* fällt hart aus. »Die Stärkung der Herkunftssprache ist in Berlin politisch nicht gewollt«, meint die Lehrerin, die seit vielen Jahren Kinder mit sogenanntem Migrationshintergrund an einer Schule im Stadtteil Kreuzberg unterrichtet. Die Mehrzahl ihrer Schüler kommt aus Familien, in denen zuhause vielfach noch Türkisch oder Arabisch gesprochen wird. Allerdings beschränken sich die schriftlichen Fähigkeiten in der jeweiligen Herkunftssprache in der Regel auf ein Minimum. Arabisch und Türkisch würden in der Gesellschaft kein hohes Prestige genießen, meint Margot M., und würden daher in der Schule unzureichend gefördert.

Bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung hält man diese Kritik für unbegründet und verweist auf die vor rund 20 Jahren eingerichteten Europaschulen. Deutschlandweit damals einmalig wurden 1992 an sechs Grundschulen Spezialklassen mit den Sprachkombinationen Deutsch-Englisch, Deutsch-Französisch und Deutsch-Russisch gestartet. Im Laufe der Zeit kamen sechs weitere doppelsprachige Bildungsgänge dazu: Mittlerweile wird in den Europaschulen auch auf Griechisch, Türkisch, Polnisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch gelernt. Nach Senatsangaben gibt es zur Zeit rund 6500 Schülerinnen und Schüler an 17 Grundschulen sowie 13 weiterführenden Europaschulen.

Fakten

Hamburg ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund. Laut Statistischem Bundesamt hat fast die Hälfte der ca. 180 000 Schüler in Hamburg eine »familiäre Zuwanderungsgeschichte«. In Berlin sind es es knapp ein Drittel (knapp 101 000 von rund 320 000 Schülern). An 54 Hamburger Schulen – jeder sechsten allgemeinbildenden Schule – wird derzeit muttersprachlicher Unterricht erteilt. In Berlin besteht diese Lernmöglichkeit lediglich an weniger als vier Prozent der Schulen (30 von ca. 800 allgemeinbildenden Einrichtungen). jam

Die Staatlichen Europaschulen Berlin (SESB) sind jedoch Nischen für den Unterricht in der Herkunftssprache. Außerhalb der SESB und den beiden internationalen Schulen (John-F.-Kennedy-Schule und Französisches Gymnasium) hat der Senat keine weiteren Maßnahmen zum Muttersprachenunterricht für Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunftssprache unternommen - und er plant auch keine, wie aus der Antwort auf eine Anfrage des bildungspolitischen Sprechers der Fraktion der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Özcan Mutlu, vom November 2012 hervorgeht.

Dabei blickt man in Berlin auf eine lange Tradition in der zweisprachigen Erziehung an Schulen zurück. Anfang der 1980er Jahre entwickelte der damalige West-Berliner Senat das Modell eines Unterrichts in Deutsch und Türkisch an Grundschulen. Das Modell wurde in den Folgejahren ausgeweitet, kam aber nie über seinen Pilotcharakter hinaus: Seit 1998 wird es an fünf Grundschulen mit insgesamt knapp 600 Schülerinnen und Schülern angeboten - eine geringe Zahl, wenn man bedenkt, dass es allein in den beiden Stadtteilen mit dem höchsten Anteil an türkischstämmiger Bevölkerung, Kreuzberg und Neukölln, mehr als 50 Grundschulen gibt, viele davon mit einem Migrantenanteil von teilweise über 50 Prozent.

Die Vorteile einer Mehrsprachigkeit liegen dabei auf der Hand, sagt die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin. Dies gelte vor allem hinsichtlich des Erwerbs schriftlicher Sprachfähigkeiten. »Bei der Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums, können diese durchaus von Vorteil sein«, so Gogolin. Die 63-Jährige ist Koordinatorin beim Projekt LiMA (Linguistic Diversity Management in Urban Areas) in Hamburg. Das Projekt geht auf eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Universität Hamburg und der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) aus dem Jahr 2011 zurück. Ausdrücklich zielt es nicht nur auf die Eingliederung von sogenannten sozial benachteiligten jugendlichen Migranten in gering qualifizierte Ausbildungsberufe; im Fokus stehen vielmehr auch potenzielle Akademiker mit Migrationshintergrund. Gemeinsam mit ausgewählten Schulen wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Methoden zur besseren Sprachförderung entwickeln. Die beteiligten Schulen enthalten dafür von der Hamburger Schulbehörde Unterstützung in Form von zusätzlichen Lehrerstunden.

Ingrid Gogolin sieht das Projekt dennoch kritisch. »Das war eine gute Idee zur falschen Zeit«, sagt sie. LiMA habe nur mit einzelnen Lehrkräften umgesetzt werden können, da die Schulen derzeit unter einem hohen Reformdruck stehen; viele Schulen hätten die Möglichkeit, mit der Universität zusammenzuarbeiten daher eher als zusätzliche Belastung empfunden. Wenig erfreulich sei auch, dass trotz solcher Projekte der Unterricht in der Herkunftssprache in den letzten Jahren immer weiter zurückgefahren worden sei.

Insgesamt stehe Hamburg jedoch gut da, »denn es gibt hier Regelungen und Rahmenpläne für den herkunftssprachlichen Unterricht, die gut durchdacht sind«, resümiert Gogolin. So hätten Hamburger Lehrkräfte, die diesen Unterricht erteilen, eine 30-stündige Fortbildungsverpflichtung. Positiv sei zudem, dass die Teilnahme am Herkunftssprachenunterricht für die Schülerinnen und Schüler zeugnis- und versetzungsrelevant sei. »Die Mühe lohnt sich also für sie.«

Anders in Berlin. Auf Nachfrage verweist der Senat auf den Muttersprachlichen Ergängzungsunterricht (MEU), der durch die diplomatischen Vertretungen der jeweiligen Länder organisiert wird und an den Nachmittagsstunden zusätzlich zum regulären Unterricht - ausschließlich an den Grundschulen - angeboten wird. Die Teilnahme ist allerdings freiwillig und nur auf Wunsch erfolgt eine Bemerkung auf dem Zeugnis. Özcan Mutlu stellt der Berliner Bildungspolitik deshalb ein schlechtes Zeugnis aus. »Ich erkenne keinen ernsthaften Willen des Senats, die interkulturelle Bildung als Prinzip zu realisieren«, kritisiert der grüne Bildungspolitiker.

* Name geändert

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