Sinnstiftung des Stubenkaters

Thüringer Vorwahlkampf im Zeichen von Ressentiments und Animositäten

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch wenn der Termin noch gar nicht offiziell verkündet ist, wirft die Thüringer Landtagswahl dieses Jahres im politischen Erfurt schon ihre Schatten voraus.

Am Wochenende eckte die CDU-Landtagsfraktion mit einem an aktuelle CSU-Äußerungen angelehnten Positionspapier zu Europa und der EU an. Nicht nur bei der Thüringer LINKEN, sondern auch bei der heimischen Wirtschaft und beim Koalitionspartner SPD stießen die Thesen auf Unverständnis und Kritik. Kernpunkt des Papiers ist die Forderung, die Erweiterung der Europäischen Union zu stoppen und eine »erstmalige Zuwanderung in Sozialsysteme« zu unterbinden. »Ich will die Diskussion positiv führen. Wir brauchen Einwanderung. Punkt!«, haderte der Vorsitzende des Thüringer Verbandes der Metall- und Elektroindustrie, Harald Bruhn, mit den in aller Regel der Wirtschaft sehr nahe stehenden Christdemokraten und erinnerte daran, dass 90 bis 95 Prozent der in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen »in Lohn und Brot« stünden. Zudem näherten sich viele Beschäftigte in der Industrie zur gleichen Zeit dem Rentenalter. LINKE-Landeschefin Susanne Hennig warnte die CDU davor, im Landtagswahlkampf rassistische Stereotype zu bedienen und am rechten Rand zu fischen. Mit ihren Äußerungen bewege sich die CDU in der Nähe der »hetzerischen Kampagne der NPD gegen Sinti und Roma« im Bundestagswahlkampf, so Hennig. Bereits im Dezember hatten entsprechende antiziganistische Äußerungen einer CDU-Abgeordneten im Erfurter Landtag für einen Eklat gesorgt. Juso-Landeschef Markus Giebe warf der CDU »kleinkariertes Denken und nationalchauvinistische Sprüche« vor.

Die CDU-Signale wirken wie ein kalkulierter, durchsichtiger und plumper Versuch, AfD und NPD im Freistaat durch Übernahme von deren Parolen klein zu halten. Kürzlich attestierte eine aktuelle Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena zwölf Prozent der Menschen in Thüringen rechtsextreme Einstellungen und fünf Prozent ein »verfestigtes rechtes Weltbild«. Die AfD hatte im Freistaat bei der jüngsten Bundestagswahl 6,2 Prozent errungen, die NPD bei der Landtagswahl 2009 immerhin 4,3 Prozent. Ob eine systematische Anbiederung an das rechtsextreme Potenzial die Christdemokraten tatsächlich stärkt, ist nicht erwiesen. Auf jeden Fall könnte es im September knapp werden und das parlamentarische Sein oder Nichtsein der Kleinen für die Mehrheits- und Regierungsbildung in Erfurt den Ausschlag geben. Auch FDP und Grüne gelten hier als kleinere Parteien, deren Wiedereinzug in den Landtag nicht sicher ist. Beide lagen hier bei der Bundestagswahl unter den magischen fünf Prozent. Eine absolute CDU-Landtagsmehrheit bei einem Stimmenanteil von wenig mehr als 40 Prozent ist nach heutigem Stand nicht vollständig auszuschließen, wenn auch bei weitem nicht die wahrscheinlichste Variante.

Mit ihrer neuen Spitzenkandidatin Heike Taubert macht sich die SPD im Freistaat nun Hoffnung auf einen Stimmenzuwachs. Für sie wäre nach den mageren Werten der letzten Jahre schon ein Abschneiden um die 20 Prozent ein Triumph. Stolz verzeichnete ihr Landesverband dieser Tage für 2013 ein landesweites »Plus von 86 Mitgliedern« und damit den »größten Zuwachs seit 1998«. Taubert zeigt sich bislang nach allen Seiten offen und versuchte sich gleich nach der Verkündung ihrer Spitzenkandidatur in einer verbalen Attacke gegen Linksfraktionschef Bodo Ramelow, den sie als »rundlichen Stubenkater« bezeichnete. Ihm wolle sie auf keinen Fall »in die Staatskanzlei verhelfen«, so Taubert.

Ramelow, der nach dem 27,4-Prozent-Ergebnis von 2009 voraussichtlich wieder als Spitzenkandidat der LINKEN antreten wird, nahm es sportlich und arbeitete Tauberts Äußerungen umgehend in eine mündliche Anfrage an die Landesregierung ein. »Dürfen überhaupt Stubenkater in die Staatskanzlei?«, will der Oppositionsführer von der Landesregierung wissen. Seine nächste, für Regierungsamtsreife nur bedingt aussagefähige Frage lautet: »Wäre nicht der Einsatz eines Stubenkaters sinnstiftend, falls ggf. Mäuse in der Staatskanzlei sich verbreiten oder gar auf dem Tisch tanzen?«

Wichtiger Meilenstein vor der Landtagswahl dürften die zeitgleich mit der Europawahl anberaumten Kommunalwahlen werden. Die LINKE hatte bei den Direktwahlen im Frühjahr 2012 mit vier Kandidatinnen in Nordhausen, dem Ilm-Kreis und dem Altenburger Land erstmals drei Landratsposten sowie das Oberbürgermeisteramt in der Wartburgstadt Eisenach erobert und damit landesweit einen Durchbruch geschafft. Nun stellt sich nicht zuletzt die Frage, ob die neuen Verwaltungschefinnen künftig auf »eigene« Mehrheiten in den jeweiligen Kommunalparlamenten und Gremien bauen können.

Im Ilm-Kreis, wo die linke Kandidatin Petra Enders 2012 mit 57 Prozent den CDU-Amtsinhaber vom Chefsessel im Landratsamt verdrängte, setzt die bisherige bürgerliche Kreistagsmehrheit auf eine Privatisierung der Abfallentsorgung. Im Frühjahr soll in einem von Linkspartei, SPD, Grünen, Gewerkschaften und Einzelpersonen unterstützten Bürgerentscheid zum Thema »Abfallwirtschaft in kommunaler Hand« die Bevölkerung das letzte Wort haben.

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