Der Job entscheidet

Die Freizügigkeit in der EU wird von Kritikern wie Befürwortern vor allem wirtschaftlich betrachtet

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Wo jemand in der EU leben darf und Ansprüche auf Sozialleistungen geltend machen kann, hängt davon ab, ob die Person Arbeit hat.

Mehr als 50 Jahre ist es her, dass sich europäische Staaten auf die Grundfesten der Freizügigkeit für Arbeitnehmer auf dem Kontinent geeinigt haben. Und doch ist das Thema noch heute eines der am schärfsten diskutiertesten. 1959 wurden mit zwei Verordnungen Bestimmungen getroffen, die die soziale Sicherheit in grenzüberschreitenden Fällen gewährleisten sollten. Sie wurden 1972 und 2010 reformiert, es ist jedoch dabei geblieben, dass die verschiedenen nationalen Sozialversicherungssysteme lediglich koordiniert werden. Die Existenz nationaler Sozialrechtsordnungen wurde nicht angetastet, sodass Höhe und Bezugsdauern von Leistungen wie Arbeitslosen- und Kindergeld in der EU weiter unterschiedlich sind.

»Das europäische Recht regelt die Dinge gut«, kommentiert Eberhard Eichenhofer, Professor für Sozialrecht an der Universität Jena, die mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren wieder angefeuerte Debatte um vermeintliche Einwanderung in die Sozialsysteme gegenüber »nd«. In dem am Montag von Beschäftigungskommissar Laszlo Andor vorgestellten neuen Leitfaden zur Ermittlung von Sozialleistungsansprüchen würden noch einmal die ausschlaggebenden Prinzipien klargestellt. »Entscheidend für den Anspruch auf Sozialleistungen ist der Ort, an dem ein EU-Bürger arbeitet«, so Eichenhofer. Ist jemand nur auf der Suche nach Arbeit, sei keine Grundsicherung - in Deutschland Bezüge nach Hartz IV - zu gewähren. Aus der Arbeitssuche heraus begründe sich nämlich noch kein Wohnsitz. Daher muss laut EU-Kommission in dem Fall der »Ort des gewöhnlichen Aufenthalts« bestimmt werden. Dafür bietet der Leitfaden nun zu berücksichtigende Kriterien. Dazu zählen unter anderem die familiären Verhältnisse und Bindungen, die Dauer und Kontinuität des Aufenthalts in dem betroffenen EU-Land, aber auch der Wille, eine Arbeit zu finden, und dies nachweisen zu können.

Das Handbuch füge sich damit in die laufenden Maßnahmen der Kommission zur Erleichterung der Freizügigkeit der Menschen in der EU ein, so Kommissar Andor.

Es gebe laut Eichenhofer jedoch problematische Fälle, wie den der in Deutschland lebenden Rumänin, die vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg auf Zahlung von Arbeitslosengeld klagt. Sie sei schwanger nach Deutschland gekommen, habe ihr Kind in diesem Land zur Welt gebracht und wollte danach wieder eine Arbeit aufnehmen. Ebenso schwierig verhält es sich mit Hochschulabsolventen aus EU-Staaten, die sich arbeitslos melden und Hartz IV beantragen. Da sie während des Studiums dauerhaft in einem anderen Land gelebt haben, müsste ihnen diese Leistung zustehen, meint Eichenhofer. Auch die EU-Kommission weist darauf hin, dass etwa Rentner mit ihrem dauerhaften Aufenthalt in einem anderen Land dort Ansprüche geltend machen können.

An Zahlen gemessen sind die sozialrechtlichen Fragen allerdings nachrangige. Über 14 Millionen Menschen leben in EU-Europa nicht in ihrem Heimatland. Ihre Beschäftigungsquote ist mit 68 Prozent im Durchschnitt höher als die der ansässigen Bevölkerung (65 Prozent).

Auch nach einer neuen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) profitieren die EU-Staaten von der Zuwanderung aus anderen Mitgliedsstaaten. Die Binnenwanderung trage gar zum Abbau von Ungleichgewichten bei, wie es in dem Papier »Migration als Regulierungsmechanismus in der Krise?« heißt. Sie lindern die Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern und übernehmen im jeweils anderen Land eine Stelle, die sonst oft unbesetzt bliebe. Das, so die Autoren, liegt vor allem an den verlangten Qualifikationen.

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