Reserven beim Händewaschen

Krankenkassenreport listet Risiken und unerwünschte Folgen von Klinikbehandlungen auf

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 5 Min.
Rund 188 000 Mal pro Jahr werden im Krankenhaus Fehler gemacht. In vielen Fällen seien die vermeidbar, so die Experten - beispielsweise durch mehr Hygiene und bessere Strukturen.

Risiken bei einem Krankenhausbesuch gibt es offensichtlich viele: Da werden Medikamente verwechselt oder älteren Patienten völlig ungeeignete Mittel verabreicht, Wechselwirkungen mit vorher eingenommenen Pillen nicht berücksichtigt. Bei Operationen kommt es zu übermäßigen Blutungen, benachbarte Organe werden verletzt. Mindestens 10 000 Menschen fangen sich jedes Jahr - etwa durch Zugänge in die Blutgefäße - eine Infektion mit resistenten Erregern ein und sterben auch daran. Erst kürzlich stellten Jenaer Mediziner in einer Studie fest, dass etwa jeder fünfte Patient, der auf einer Intensivstation behandelt wurde, danach eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Bisher war dieses psychische Leiden vor allem in Zusammenhang mit Kriegserlebnissen, Folter und Misshandlungen bekannt.

Insofern scheint der Ratschlag naheliegend, sich von Krankenhäusern möglichst fernzuhalten. Zu diesem Schluss wollen die Autoren des »Krankenhaus-Reports 2014« vom Wissenschaftlichen Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen (WIdO) natürlich nicht kommen, sondern Anregungen zur Ursachenforschung geben. Dieser Bereich ist weit gefächert, einige Aspekte wurden in dem gestern in Berlin vorgestellten, 500 Seiten starken Bericht genauer untersucht. Leider beziehen sich die Daten zu den »patientensicherheitsrelevanten Ereignissen« (PSRE) - der bürokratische Begriff für alle unerwünschten Zwischenfälle, angefangen von einer Medikamentenallergie bis hin zu tödlichen Fehlern - auf ein Gutachten des Sachverständigenrates Gesundheit, das fünf Jahre alt ist.

Krankenhaus in Zahlen

2012 existierten 2017 Krankenhäuser mit 501 489 Betten.

29,8 Prozent der Häuser befinden sich in öffentlicher Hand, 35,6 Prozent in freigemeinnütziger Hand und 34,6 Prozent in privater Hand.

2012 wurden in den Krankhäusern 18,6 Millionen Fälle behandelt.

Durchschnittlich blieb ein Patient 7,6 Tage im Krankenhaus.

Zwischen 1991 und 2012 hat sich die Verweildauer bei einer stationären Behandlung halbiert.

Seit 1972 sollen sich die Bundesländer und die gesetzlichen Krankenkassen die Krankenhausfinanzierung teilen. Man spricht von der dualen Finanzierung. Die Investitionskosten wie z. B. Neubauten oder neue Geräte sollen durch die Bundesländer finanziert werden. Die Betriebskosten, darunter das Gehalt der Mitarbeiter, werden von den Krankenkassen bezahlt.

Jeder dritte Euro, den die gesetzlichen Krankenkassen ausgeben, fließt derzeit in die Kliniken. 2012 waren das 61,66 Milliarden Euro, 2011 waren es 59,95 Milliarden Euro.

Die Bundesländer kommen ihrer Verpflichtung nicht nach. Sie fahren ihre Investitionskosten zurück. Zahlten die Länder 1993 noch 3,9 Milliarden Euro, waren es 2011 nur noch 2,67 Milliarden. Die Investitionsquote der Länder sank von 25 Prozent 1972 auf unter 3,6 Prozent im Jahr 2011.

2012 arbeiteten in den Krankenhäusern 312 962 Pflegevollkräfte im Jahresdurchschnitt

2010 waren 148696 Ärzte in den Krankenhäusern beschäftigt.

Nach Angaben des Vereins der demokratischen Ärztinnen und Ärzte schreiben mehr als 50 Prozent aller Krankenhäuser rote Zahlen. Der Verein macht dafür die ausbleibenden Investionen der Länder, das Fallpauschalen-Abrechnungssystem und die falschen ökonomischen Anreize verantwortlich. nd

 

Daran orientiert wurde eine Schätzung für das Bezugsjahr 2011 vorgenommen. Da das Gutachten auf 184 nationalen und internationalen Studien basiert, hält man die jeweils prozentualen Anteile von PSRE (fünf bis zehn Prozent aller Behandlungsfälle in Krankenhäusern), Behandlungsfehlern (ein Prozent) bzw. tödlichen Fehlern (ein Promille) für übertragbar. Max Geraedts von der Universität Witten-Herdecke, einer der Mitautoren des Reports, spricht von vier Prozent der Behandlungsfälle, in denen pro Jahr eine Krankenhausinfektion auftritt. Absolut wären das 800 000 Fälle, aber diese Zahl gehört offenbar zu den im Bericht »konservativ geschätzten«, denn nach anderen Quellen infizieren sich jährlich bis zu drei Millionen Patienten in einer Klinik.

40 Prozent der tödlichen Fehler insgesamt gelten laut internationaler Literatur als vermeidbar. Für den Hygienebereich seien das insgesamt ein Drittel der Fälle, so Geraedts, die Hauptrolle wird dabei immer noch der Händedesinfektion zugeschrieben. Diese sollte in 80 Prozent der notwendigen Situationen durchgeführt werden, das ist das Ziel. Aber es gebe immer noch Kliniken, die nicht einmal 50 Prozent erreichen. Zwar ist hier und da und zeitlich begrenzt immer wieder von Initiativen für den Bereich zu hören. Aber Deutschland erreicht seinen Platz im Mittelfeld der entwickelten Staaten offenbar auch mit einem Flickenteppich entsprechender Maßnahmen.

Risiken bei Arzneien könnten durch elektronische Verschreibungssysteme ausgeschaltet werden, so die Experten. Bei fehlerhaften Medizinprodukten haben die Kliniken mit der kaum vorhandenen Regulierung in diesem Bereich zu kämpfen, da unter anderem Prothesen nur auf ihre technische Sicherheit überprüft werden müssen. Hier könnten Register Abhilfe schaffen, wie etwa das für Aortenklappen. Aber auch diese Datenbanken entwickeln nur einen Nutzen, wenn die Zahl der aufgenommenen Fälle ausreichend groß ist.

Übung macht den Meister - diese einfache Erfahrung lässt sich für bestimmte Eingriffe bereits deutlich nachweisen. WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber zeigte das für den planbaren Hüftgelenksatz bei Arthrose. Hier mussten zwischen 2009 und 2011 7,4 Prozent der Patienten mit Komplikationen kämpfen oder sogar eine erneute Operation in Jahresfrist hinnehmen. Verteilt sind diese unangenehmen Folgen ziemlich eindeutig: Krankenhäuser mit den wenigsten Eingriffen pro Jahr haben auch die höchste Revisionsrate, Kliniken mit über 200 Fällen pro Jahr so gut wie keine.

Erstaunliche Zurückhaltung wahrt der Bericht in dem Abschnitt, der dem Zusammenhang von Patientensicherheit und Personal gewidmet ist. Zwar signalisieren die Autorinnen in diesem Teil, dass sie die Befragungen der Gewerkschaften zu dem Thema wahrgenommen haben, aber: Die deutsche Studienlage sei nicht ausreichend dafür, den Zusammenhang zwischen einem Mangel an qualifiziertem Personal mit der Patientensicherheit nachzuweisen. Angesichts der Gewissensnöte von vielen Beschäftigen, ihre Patienten nicht mehr ausreichend versorgen zu können, sollte hier endlich und gründlich Abhilfe geschaffen werden, auch durch die Festlegung von Mindestbelegschaften auf den Stationen.

Ein weiteres Team fragte für den Report ärztliche Direktoren bundesweit nach Sozialkapital und Patientensicherheit in ihren Häusern. Dem Soziologen Pierre Bordieu zufolge besteht dieses Sozialkapital aus gemeinsamen Überzeugungen und Werten in einer Organisation - auch in einem Krankenhaus. Wie viel bleibt davon in einem stressreichen Alltag mit langen Diensten und zu wenig Erholungszeiten noch übrig? Die Antworten darauf blieben vage. Wo die Patientensicherheit hoch war, wurde auch das Sozialkapital positiv bewertet. Also lautet die These: Gibt es gemeinsame Werte, könnte das eine gute Sicherheitskultur fördern. Auch hier wird zwar weiterer Forschungsbedarf angemeldet, konkrete Schlussfolgerungen bleiben aus.

Entgegen der rituellen Abwehr von Krankenhausbetreibern auch gegenüber dem diesjährigen Bericht will Uwe Deh von der AOK keine Warnschilder vor bestimmten Kliniken aufstellen - Hinweisschilder aber durchaus. Mit ihren Routinedaten zur Qualitätssicherung können die Krankenkassen und damit auch die AOK sehr gut und einfach beobachten, wie sich die Gesundheit der Patienten auch nach Klinikaufenthalten entwickelt. Dem AOK-Funktionär Deh zufolge werden Problemlagen auch zuerst den betroffenen Krankenhäusern signalisiert, dann aber auch einweisenden Ärzten und den Versicherten, insbesondere, wenn diese nachfragen. Deh möchte keine Klinik schließen, sondern empfiehlt eine Neuordnung der Krankenhauslandschaft entsprechend der Bedürfnisse der Patienten in ihren Regionen. Es ginge um Spezialisierung, auch mit Blick auf künftige ambulante Aufgaben insbesondere in ländlichen Regionen.

Insofern begrüße die AOK das im Koalitionsvertrag geplante Qualitätsinstitut zur Prüfung von bestimmten Therapien als ersten Schritt in die richtige Richtung. Bei der nachfolgenden Strukturreform dürften Länder und Kommunen nicht allein gelassen werden. Insofern sei der in den Koalitionsverhandlungen angedachte Strukturfonds ebenfalls sinnvoll.

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