Sobibór ist deutsches Erbe

Kurt Gutmanns Forderung an die Große Koalition

  • Lesedauer: 2 Min.

Kurt Gutmann ist verärgert. Im November vergangenen Jahres schrieb er einen Brief an Cornelia Piper, damals noch Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Der Shoah-Überlebende liest ihn mir vor: »Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, aus den Medien habe ich entnommen, dass Sie der Meinung sind, dass die Bundesrepublik sich nicht an den Kosten der Gestaltung einer würdigen Gedenkstätte im ehemaligen Vernichtungslager Sobibór beteiligen wird, weil dort keine deutschen Juden umgebracht wurden. Ganz geschweige von der Tatsache, dass Ihre Aussage nicht stimmt - meine Mutter Jeannette Gutmann, geborene Kann, sowie mein Bruder Hans-Josef Gutmann wurden nachweislich dort vergast. Sie waren aber nicht die einzigen deutschen Juden, die dieses Schicksal erlitten. Es wäre gut, wenn Sie in dieser Sache hätten besser recherchieren lassen. Ich erwarte dafür Ihre persönliche Entschuldigung.«

Gutmann bekam eine lapidare Antwort. Die Politikerin bedauerte seinen Verlust. Und schob die Schuld auf die polnische Regierung. Das lässt der Veteran nicht als Entschuldigung gelten. Abgesehen davon, dass unter den 250 000 in diesem lange »vergessenen« Lager ermordeten Juden etwa 20 000 deutscher Nationalität waren, ist diese Mordstätte ein deutsches Erbe, betont Gutmann. Und es stimme auch nicht, dass die polnische Seite keine deutsche Unterstützung erwarte, wie Piper auf Anfrage der LINKEN im Bundestag behauptet hatte (Drucksache 17/14281).

Nach dem mutigen wie verzweifelten Aufstand am 14. Oktober 1943 in Sobibór und anschließender Massenflucht hatte SS-Führer Himmler alle verbliebenen Juden ermorden und das Lager dem Erdboden gleichmachen lassen. Nichts sollte an den heroischen Akt jüdischen Widerstands erinnern. Auch die Todeslisten wurden verbrannt. Erst 1996 erfuhr Gutmann vom grausigen Gastod der Seinen. Er selbst entging nur knapp dem Genozid. Als Zwölfjähriger gelangte er im Juni 1939 mit dem letzten Kindertransport nach Großbritannien; zu Kriegsende wurde er noch Soldat in einer schottischen Division. »Gegen Hitler in den Krieg zu ziehen, war meine Pflicht.« Kurt Gutmann sah dies als einen »letzten Dienst« an Mutter und Bruder an, von denen er 1940 das letzte Lebenszeichen erhalten hatte.

Nun fordert Kurt Gutmann, der beim Prozess gegen den ukrainischen Trawniki John Demjanjuk in München trotz Seelenqual dabei war, dass die Große Koalition weiß, was ihre Pflicht ist: »Die Regierung der Bundesrepublik hat sich zum Rechtsnachfolger des NS-Staates erklärt und ist somit sowohl rechtlich wie auch moralisch verpflichtet, sich an der Errichtung einer würdigen Gedenkstätte zu beteiligen.« K.V.

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