Selbstbewusst gegen das Empire

Pankaj Mishra erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung

  • Rupert Neudeck
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in deren Augen Bildung allein auf dem Arabischen und dem Persischen basierte … Niemandem wäre der Gedanke an eine englische Erziehung gekommen», notierte einst stolz der indische Dichter Altaf Hussein Hali (1837-1914). Und der berühmte hinduistische Gelehrte Vivekananda (1863-1902) lehnte den Materialismus des Westens ab, der «mit allen Mitteln nach dem Reichtum anderer Menschen greifend, ... nur auf die Erfüllung der Begierden bedacht», in indischen Augen als Dämon erscheinen musste.

Seinem Buch voran stellte Pankaj Mishra ein Zitat des deutschen Philosophen Georg Friedrich Hegel, der 1820, die seinerzeitige Geisteshaltung des Okzidents gegenüber den Orient reflektierend, schrieb: «China und Indien liegen gleichsam noch außer der Weltgeschichte ... Wir können uns freilich in die Einzelheiten dieser Geschichte weiter nicht einlassen, die, da sie selbst nichts entwickelt, uns in unserer Entwicklung hemmen würde». In der Folge wird der britische Schriftsteller und Politiker Edmund Burke (1729-1797) zitiert, der seine Landsleute darauf aufmerksam machte, dass die Inder ein seit unendlichen Zeiten zivilisiertes und kultiviertes Volk seien, «als wir noch in den Wäldern hausten».

Pankaj Mishra erhält den diesjährigen Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, da er - so die Jury - faktenreich und farbig die Geschichte von Asiens Auflehnung gegen den westlichen Imperialismus erzähle sowie den Erfolg des politischen Islam anschaulich darstelle. Sein aufklärendes Werk sei für die Selbstverständigung Europas über die eigene Rolle in der heutigen Welt unentbehrlich. Tatsächlich stellt sein Buch europäische Arroganz und Ignoranz in Frage, die kulturelle und geistige Errungenschaften in anderen Hemisphären nicht zur Kenntnis nahm und nimmt.

Der Autor berichtet über den Philosophen und politischen Aktivisten Jamal al Din al-Afghani. 1883 hielt er sich in Paris auf. Es kam zu einer denkwürdigen Begegnung mit dem französischen Schriftsteller und Orientalisten Ernest Renan. Al-Afghani stimmte dessen kritischer Sicht auf Religionen zu, meinte allerdings, dass dies nicht exklusiv für den Islam gelte. Er konzedierte, dass der Islam in der Wissensentwicklung um viele Jahrhunderte hinter dem Christentum zurückgeblieben sei, betonte aber zugleich, die ursprünglichen Lehren des Islam hätten mit dem modernen Rationalismus harmoniert. Die muslimischen Gesellschaften seien im Laufe der Zeit intolerant geworden, sie bräuchten «einen Martin Luther, um sich mit der modernen Welt zu versöhnen», so al-Afghani.

In einer Rede in Alexandrien mahnte der islamische Gelehrte, man könne den «Tiefen der Dummheit» nicht entkommen, solange die Frauen keine Rechte besäßen und ihnen elementare Bildung verwehrt bleibe. Wenn man diese vernachlässige, würde die Nation in einen Zustand der Unwissenheit und des Elends zurückfallen, denn der Bildungsmangel der Mütter wirke sich stets negativ auf die Kinder, also die nächste Generation aus. Pankaj Mishr ist überzeugt, dass es ein Gewinn für den Islam wäre, würde er sich auf diesen klugen Mann besinnen.

Der indische Essayist, Jg. 1969, berichtet über «Jahrzehnte rassischer Demütigung» der Völker nicht nur in Asien. Der Leser kann nachempfinden, wie global-gewaltig die Nachricht vom Sieg des sudanesischen Mahdi Abdallahi ibn Muhammad über die britische Kolonialarmee unter General Charles George Gordon in den Ohren aller Unterdrückten klang. Die Belagerung und Erstürmung Khartums 1883 bis 1885 blamierte das Empire. Muslime weltweit waren begeistert. Der Mahdi-Aufstand ging in die Annalen der Geschichte als einer der ersten erfolgreichen Erhebungen einer afrikanischen Ethnie gegen den Kolonialismus ein.

Pankaj Mishra berichtet auch über die Enttäuschung der kolonial unterdrückten Völker über die Nichterfüllung der 14 Punkte, die US-Präsident Woodrow Wilson 1918 für eine stabile Nachkriegsordnung formuliert hatte und zu denen das Selbstbestimmungsrecht der Völker gehörte. Vor der US-Botschaft in Peking hatten Studenten enthusiastisch «Lang lebe Präsident Wilson!» gerufen. Auch der große indische Dichter Rabrindranath Tagore hoffte, der US-Regierung sei es ernst mit der Befreiung der unter Kolonialjoch leidenden Völker. Ebenso Ho Chi Minh, der damals noch Nguyen Ai Quoc hieß. Umso bitterer der Verrat hernach.

Über all dies berichtet Pankaj Mishra lebendig und anschaulich. Unverständlich bleibt jedoch, warum er im Urteil über die Gräueltaten des japanischen Imperialismus in China und Korea eher zurückhaltend ist.

Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 441 S., geb., 26,99 €.

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