Ein schwieriger Anfang

Lars Mörking über Vorteile und Probleme der chinesischen Marktwirtschaft

  • Lars Mörking
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bilanz, die die Kommunistische Partei Chinas unter der Führung von Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre zog, war trotz eines beständigen Wirtschaftswachstums seit Gründung der Volksrepublik 1949 negativ: Der Abstand zu den entwickelten kapitalistischen Ländern hatte sich vergrößert. Eine weitere Kampagne, die zur Aufholjagd bläst und die Massen mobilisiert, mochten sich die Genossen in Peking kurz nach der Kulturrevolution nicht vorstellen. Und so wurden ausländische Investoren ins Land gelassen, die zu einem umfassenden Technologietransfer von den Industrienationen nach China sorgten.

Begonnen hat die Reform- und Öffnungspolitik in der Landwirtschaft, wo materielle Anreize für die Beschäftigten zu einer höherer Produktivität führten. Dies wiederum setzte Arbeitskräfte frei, die zuvor kaum zu entbehren waren. Ohne Millionen neuer Lohnarbeiter, deren Sozialversicherung bisher meist nur in einem Stück Land in ihrer Heimatprovinz bestand, wäre es nicht möglich gewesen, den Grundstein für die »Weltfabrik« China zu legen.

Die Erfolge dieses Wachstumsmodells sind ebenso offensichtlich wie die Probleme: Einerseits ist ein beachtlicher Rückgang der absoluten Armut zu verzeichnen (elementare Bedürfnisse wie die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln können landesweit befriedigt werden), andererseits ist die relative Armut in der Volksrepublik bis heute kontinuierlich größer geworden. Die Arbeiterklasse wuchs zahlenmäßig zwar an und die Reallöhne aller Chinesen sind gestiegen, jedoch sank der Einkommensanteil der Arbeiter am Volkseinkommen. Fakt ist aber auch, dass die Marktreformen eine wirtschaftliche Dynamik in Gang setzten, die ein zentrales Versprechen der Staatsgründer einlöst: Die Volksrepublik ist heute ein souveränes Land, das zu Recht als neue Weltmacht bezeichnet wird.

Die Kommunistische Partei nennt die Wirtschaftsform Chinas »Sozialistische Marktwirtschaft«. Sie spricht von der Anfangsphase des Sozialismus, in der man sich befinde. In dieser Übergangsgesellschaft sollen bis 2050 die Grundlagen für eine sozialistische Gesellschaft gelegt werden. Renate Dillmanns »geschundene sozialistische Seele« mag sich daran nicht erfreuen. Die Volksrepublik stellt in ihrem derzeitigen Entwicklungsstadium nicht das dar, was sie sich als Linke, die in einem entwickelten kapitalistischen Land lebt, unter Sozialismus vorstellt. Das ist verständlich. Wolfram Adolphi schlägt in einem weiteren »nd«-Beitrag vor, die »Ismen« - gemeint sind vor allem Sozialismus und Kapitalismus - in Bezug auf China erst einmal beiseite zu lassen und die Dinge bei ihrem chinesischen Namen zu nennen. Denn wenn Linke von »Shehuizhuyi« statt Sozialismus reden, bleibt das inhaltlich Unverstandene auch sprachlich nebulös. Auch hier gilt: Sozialismus als Bezeichnung der gegenwärtigen chinesischen Übergangsgesellschaft ist nicht mit dem identisch, was Linke als höhere, den Kapitalismus ablösende Produktionsweise anstreben.

Nun wissen wir aber immer noch nicht, auf welchen Namen das Kind nun hört. Aufschluss verspricht ein Beitrag des italienischen Philosophen Domenico Losurdo in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »Marxistische Blätter«: Losurdo beschreibt darin unter anderem den Klassenkampf in China vor und nach Gründung der Volksrepublik 1949. Er sieht die verschiedenen Marx-Interpretationen sowie die unterschiedlichen Verwendungen der Begriffe »Sozialismus« und »Kapitalismus« sinngemäß darin begründet, dass Kommunisten in ökonomisch rückständigen Ländern regieren und in fortschrittlichen Ländern in der Opposition sind. Diese Feststellung ist deshalb von Bedeutung, weil es eben ein himmelweiter Unterschied ist, ob die materiellen Grundlagen für den Sozialismus nach der Revolution erst noch geschaffen werden müssen oder ob sie bereits vorhanden sind.

Die Reform- und Öffnungspolitik hat in 35 Jahren die materiellen Möglichkeiten Chinas deutlich erweitert. Diese auszubauen und zu nutzen, um Schritte in Richtung einer sozialistischen Umgestaltung der Wirtschaft zu gehen, dafür braucht es die Organisierung und Mobilisierung derer, die davon profitieren. Darin zumindest unterscheidet sich das Verständnis von Sozialismus in China nicht von »unserem«.

Weiterlesen:

Lassen wir die Ismen zurücktreten
Marx meinte, dass der Sozialismus erst auf der Basis des reifen Kapitalismus aufgebaut werden könne. Befindet sich China demnach in der Anfangsphase des Sozialismus. So jedenfalls die Einschätzung eines Professors einer Akademie, an der man Marxismus-Leninismus und Mao-Zedong-Ideen lehrt. Welches ist der Maßstab, um das zu beurteilen und mit welchen Begriffen lassen sich die Verhältnisse in China am besten beschreiben, fragt Autor Wolfram Adolphi?

Der erste erfolgreiche Sozialismus?
China hat einen nationalen Kapitalismus auf die Beine gestellt, der Unternehmen und Staat reich und mächtig macht, auf Basis verbreiteter Armut des dafür benutzten (oder auch überflüssigen) Volkes natürlich. Dieses Programm kennt man nur allzu gut aus den etablierten kapitalistischen Staaten. Umso interessanter, dass angesichts dieser eindeutigen Fakten ein Teil der deutschen Linken trotzdem beharrlich die Frage aufwirft, ob es sich beim heutigen China nicht um den ersten erfolgreichen Sozialismus der Weltgeschichte handelt.
Renate Dillmann schreibt über China und über einige Verklärung in Teilen der Linken zum chinesischen Weg.

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