Die Tories finden jedes Fettnäpfchen

Premier Cameron muss in EU-Politik Kröten schlucken

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz Sparpolitik wächst die britische Volkswirtschaft endlich um knapp 2 Prozent, die Arbeitslosenzahl sinkt. Aber Premier David Camerons Gefolge tritt weiterhin in jedes vorhandene Fettnäpfchen.

Ende vergangener Woche musste der britische Premier in der Europa-Politik gleich drei Kröten schlucken. Seine aus dem Ruder gelaufene Fraktion drohte, ein weiteres Moratorium gegen rumänische und bulgarische Migranten zu erzwingen, obwohl dies ein klarer Verstoß gegen die EU-Gesetzgebung bedeuten würde. Der vom Hinterbänkler James Wharton vorgelegte Versuch, 2017 eine Volksabstimmung über Verbleib oder Austritt aus der EU parlamentarisch festzulegen, strandete im Oberhaus; der erboste Cameron will die Vorlage noch einmal einbringen. Und zu allem Überfluss deutete Frankreichs Präsident François Hollande beim Besuch in Camerons Wahlkreis an, die vom Premier angestrebten Reformen seien ohnehin nicht eilig und eine Renationalisierung von Macht an die Einzelstaaten der EU, wie von den Tories erwünscht, stehe nicht zur Debatte.

Also verlegten sich die Konservativen auf Ablenkungsmanöver. Bildungsminister Michael Gove machte mit der Ankündigung Schlagzeilen, die Vorsitzende der Schulaufsichtsbehörde Ofsted, Lady Sally Morgan, solle nach einer erfolgreichen dreijährigen Amtszeit nicht wieder ernannt werden. Ein großzügiger Tory-Spender ohne spezifische Schulkenntnisse soll sie ersetzen. Morgan, früher Beraterin von Labour-Premier Tony Blair, schlug in einem Radiointerview Alarm: Nicht-Konservative und vor allem Frauen würden in letzter Zeit am laufenden Band aus Behörden geschasst. David Laws, Goves keineswegs links angehauchter liberaldemokratischer Staatsminister, stimmte in den Chor der Ministerkritiker ein.

Also verlegte sich Gove auf eine Anklage gegen Lehrer, die Angst hätten, unbotmäßige Schüler zu disziplinieren. Immerhin sind die meisten Lehrer von seinen Strukturreformen im Schulbereich bereits so abgestoßen, dass der Minister dort nicht mehr viele Stimmen zu verlieren hat. Im Fernsehen schwafelte Gove von einem Strafregister, das sich von Zwangsaufenthalten unter dem wachsamen Auge des Schuldirektors bis zum hundertfachen Abschreiben von Losungen wie »Ich darf im Unterricht nicht stören« erstreckte. Dass er die Wiedereinführung der Prügelstrafe nicht befürwortete, war immerhin ein Lichtblick.

Damit werden wahrscheinlich die rechten Rivalen von der United Kingdom Independence Party (UKIP) auf den Plan treten. Neulich rief ein rechter Stadtrat mit einer neuen Erklärung für das Hochwasser in Südwestengland Erstaunen hervor: Nicht der Treibhauseffekt oder der Bau von Häusern in gefährdeter Lage sei an den Flutkatastrophen schuld, sondern Beweise für Gottes Zorn gegen die Legalisierung der Homo-Ehe.

Trotzdem: Mit den Liberalen als meist zahmen Koalitionspartnern und Labour als allzu staatstragender Opposition könnte die UKIP bei der Europawahl im Mai als Sammelbecken von Protestwählern absahnen: Wahlforscher sehen die »Kippers« gar als Sieger aus der Wahl hervorgehen.

Und Labour? Ed Miliband versucht, das Verhältnis zu seinen Gewerkschaftsfreunden zu demokratisieren, ohne seine Partei in die Pleite zu treiben. So soll das Recht einzelner Gewerkschaftschefs, bei der Wahl des Parteiführers einen ganzen Stimmenblock abzugeben, abgeschafft werden. Gewerkschafter sollen stattdessen zum ermäßigten Preis Parteimitglieder werden können. Die Öffentlichkeit, die sich eher um weiteren Kaufkraftverlust ihrer Löhne sorgt, steht vor den Wahlen am Rande und reibt sich die Augen.

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