Werbung

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Retrospektive: Aesthetics of Shadow. Lighting Styles 1915-1950

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Ihr englischsprachiger Titel verrät es schon vorab: Im zweiten Jahr in Folge ist die Retrospektive der Berlinale in Zusammenarbeit von Deutscher Kinemathek (in Berlinale-Auftrag) und den Film-Kuratoren des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) entstanden, das dieselben Filme teils im Januar schon gezeigt hat, teils im Anschluss an die Berlinale übernehmen wird. Nach dem ambitioniert klingenden letztjährigen »Weimar-Touch«, hinter dem sich ein Sammelsurium von Filmen deutscher Filmexilanten der Dreißiger Jahre verbarg, einige davon echte Entdeckungen, nun also »Die Ästhetik der Schatten«, Beleuchtungsstile aus vier Jahrzehnten Filmgeschichte.

Filmschaffen in Japan, Hollywood und Europa (meist Frankreich oder Deutschland) sind die geografischen Eckpunkte, die Zwanziger und Dreißiger Jahre das zeitliche Zentrum einer Filmreihe, die weniger mit einem überzeugenden kuratorischen Argument als mit einer atemberaubenden Ansammlung großer Stars, großer Regisseure und großer Filmtitel prunkt. Ideengeber war eine gleichnamige Publikation zur Lichtsetzung im japanischen Kino von Filmforscher Daisuke Miyao (Universität von Oregon, USA). Diese wurde schon tatkräftig unterstützt vom MoMA, das dann seinerseits die Filmreihe anregte. Und die Kinemathek zog mit, mutmaßlich nicht zuletzt aus Kostengründen.

Licht und Schatten also, denn wo Schatten fällt, muss irgendwo auch Licht sein, präsentiert in einer Reihe thematischer Unterkapitel, die für den Kartenkäufer am Ticketschalter allerdings kaum als solche zu erkennen sind. Erst wer den schön bebilderten (textlich aber reichlich unebenen) Katalogband liest oder sich mittels einer begleitenden Kinematheks-Broschüre über Kopien-Provenienz und die wichtigsten technischen Angaben zu den Filmen informiert, wird dort thematische Gruppierungen finden, die im Programm selbst gar nicht ausgewiesen sind. Aus dem Englischen übersetzt lauten sie in etwa so: Lichtsetzung im Genre-Film, Lichtsetzung für die Stars, Malen mit Schatten, Licht und Rhythmus (im montage-getriebenen Experimentalfilm) oder auch »In Richtung Realismus«.

Nicht mehr die gleichmäßig alle Subjekte und Objekte vor der Kamera sichtbar machende Beleuchtung der Frühphase des Mediums ist also Auswahlkriterium der Reihe, sondern ein gezielter Einsatz der zwischenzeitlich verbesserten technischen Mittel zum bewussten Führen des Blicks durch Hervorhebung einzelner Bildabschnitte: das Gesicht eines Stars, der ominöse Schattenschnitt eines Gegenstands auf einer Wand, eine handelnde Person auf der Schwelle zwischen dunklem Raum und hell ausgeleuchteter Öffentlichkeit - oder eine temporäre erotische Verwirrung, die im Licht eines Streichholzes offenbar wird oder sich im weichen Licht des Mondes auf dem Wasser bricht. Licht, das nicht mehr nur die Wahrnehmung erleichtert, sondern das bezaubern will oder bestürzen soll, das moralische Dilemmata optisch erfahrbar macht oder Effekte schafft, die sich als ästhetisches Element gegen die Handlung behaupten können.

Teil des gedanklichen Überbaus der Reihe ist die Beobachtung, dass sich solche ästhetischen Entwicklungen von Land zu Land als je kulturelle Eigenleistung Bahn brechen können oder sich auch als Transferleistung durch direkte Übertragung individuellen Know-Hows oder bewusster Nachahmung bewunderter Vorbilder von Land zu Land verbreiten, in diesem Fall meist zwischen Hollywood, Tokio und den Filmmetropolen Europas. Ein Befund, der angesichts der globalen Kunstform Film nicht weiter überrascht - allenfalls vielleicht in seiner Frühphase.

Personelle Kontinuitäten spielen dabei eine Rolle, so im vorgeführten Fall des japanischen Kameramannes Henry Kotani, der in den Zehnerjahren in den USA bei Cecil B. DeMille arbeitete und bei seiner Rückkehr nach Japan den dort angewandten, dramatischen Licht- und Schatteneinsatz mitbrachte. Oder im Falle des (nur in einem Katalogbeitrag erwähnten) französischen Regie-Exports Maurice Tourneur, der mit seiner dramatischen Lichtsetzung nach seiner Übersiedlung in die USA einer ganzen Filmindustrie neue ästhetische Impulse gab. Oder es waren die abstrakteren Muster ästhetischer Bewunderung auch aus der Ferne, wenn z.B. darauf hingewiesen wird, in welch hohem Grad F.W. Murnaus Schaffen über die Kontinente hinweg stilbildend wirkte.

Sein deutscher »Faust« und der schon in den USA gedrehte »Sunrise - A Song of Two Humans« werden hier gezeigt (letzterer allerdings nicht mit dem verfügbaren Orchester-Track, sondern wie die meisten anderen Filme auch nur mit Klavierbegleitung). Überhaupt sind die Filme der Reihe - von John Fords frühem »Stagecoach« über den schon 1929 von der deutschen Filmkritik gefeierten japanischen Straßenfilm »Jujiro« (Im Schatten des Yoshiwara) bis zu Orson Welles’ Jahrhundertklassiker »Citizen Kane« - allesamt jeden Ticketpreis wert. Vielleicht hätte man aber auf die recht artifizielle Gedankenkonstruktion, die sie verbindet, verzichten sollen.

Connie Betz, Julia Pattis, Rainer Rother (Hrsg.): Ästhetik der Schatten. Filmisches Licht 1915-1950. Schüren-Verlag, Marburg. 160 S. 19,90 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal