nd-aktuell.de / 17.02.2014 / Politik / Seite 6

Weiter in großer Gefahr

In Hamburg werden bürgerliche Grundrechte trotz Protesten nach wie vor ausgehebelt

Angela Dietz, Hamburg
Hamburg bleibt ein Gefahrengebiet. Noch immer gelten in Teilen der norddeutschen Großstadt Sonderrechte für die Polizei.

Mittwochnachmittag, im Hamburger Stadtteil St. Pauli kommt eine Gruppe junger Schweizerinnen gut gelaunt um die Ecke an der Davidwache. Befragt, ob sie wüssten, dass sie jederzeit von der Polizei kontrolliert werden könnten, zucken sie mit den Achseln, »nein«, aber sie hätten ja nichts zu verbergen. »In Zürich haben wir auch so ein Gebiet«, berichten sie. »Wenn es unserer Sicherheit dient ...«

In dieser Hamburger Gegend galten im Januar zehn Tage lang Sonderrechte für die Polizei. Es war das bis dato größte Gefahrengebiet, das in der Stadt jemals eingerichtet wurde. Rund 1000 Kontrollen wurden durchgeführt, Böller und Klobürsten konfisziert. Die Themen, die die Hansestadt bis dahin in Atem hielten - Verdrängung ärmerer Einwohner, fehlender preiswerter Wohnraum, die unsichere Situation von Flüchtlingen, Stichwort Lampedusa, und die ungeklärte Situation um die seit fast 25 Jahren besetzte Rote Flora - gerieten kurzzeitig in den Hintergrund.

Immer wieder wurden Areale in der Hansestadt seit der Verschärfung der Gesetze 2005 zu Gefahrengebieten erklärt. Damals hatte der CDU-Senat das Hamburgische Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit und Ordnung verabschiedet. Aktuelle Rechtsgrundlage ist das Gesetz zur Datenverarbeitung der Polizei. So kann sich diese selbst ermächtigen, verdachtsunabhängig und ohne richterlichen oder parlamentarischen Beschluss ganze Stadtteile zu Gefahrengebieten zu erklären. Innerhalb dieser Areale kann die Polizei ohne Anlass Personen kontrollieren, Personalien feststellen und Platzverweise aussprechen. Mehr als 40 zeitlich begrenzte Sonderrechtszonen sind seitdem in Hamburg errichtet worden. Die Grundrechtekampagne unter Federführung von Christiane Schneider, Innenpolitikexpertin der Hamburger LINKEN, listet Kontrollen, Ermittlungsverfahren und Aufenthaltsverbote der vergangenen acht Jahre in fünfstelliger Größenordnung auf. Die Bürgerschaftsfraktionen der Grünen und Linkspartei fordern deshalb eine Gesetzesänderung.

Die Anlässe für die Ausrufung eines Gefahrengebiets sind sehr unterschiedlich: Drogendealerei, Jugendkriminalität, Prostitution, Fußballspiele, Demonstrationen. Rund um das Vergnügungsviertel an der Reeperbahn gelten seit 2007 außerdem besondere Verbote, auf die überall gelbe Schilder hinweisen: für das Mitführen von Schusswaffen, Messern, Reizgas und Schlagstöcken sowie von Glasflaschen. Die Polizei führt regelmäßig Kontrollen durch - wie viele, kann Polizeisprecherin Karina Sadowski nicht beziffern.

Nach Polizeiangaben gibt es zurzeit drei dauerhafte Gefahrengebiete in der Hansestadt: das älteste in St. Georg schon seit 1995, zwei auf St. Pauli, seit 2004 und 2005. In St. Georg gelten seit 1980 außerdem eine Sperrbezirksverordnung und ein Kontaktanbahnungsverbot für Freier seit Februar 2012. Die Polizei ist dort von jeher sehr präsent. »Mehr als stündlich laufen hier Polizisten an meinem Fenster vorbei, in Uniform und zivil, neuerdings auch zu Pferd«, berichtet Gudrun Greb, Leiterin von Ragazza, einer Einrichtung für drogenabhängige und sich prostituierende Frauen.

Offizielle Begründung zur Errichtung des großen Gefahrengebiets am 4. Januar 2014, das am 13. Januar aufgehoben wurde, waren Attacken auf Polizeibeamte der Davidwache. Dabei soll ein Beamter laut Polizeiangaben schwer verletzt worden sein. Laut Szeneanwalt Andreas Beuth hat es am 28. Dezember aber nicht den behaupteten Überfall von 30 bis 40 schwarzgekleideten Personen auf die Davidwache gegeben. Die Attacke auf die Polizeibeamten fand 200 Meter entfernt in der Hein-Hoyer-Straße statt. »Es gibt etwa zehn Zeugen«, sagt Beuth auf Nachfrage, »die sind weder links noch Fußballfans, sondern zum Beispiel Konzert- und Theaterbesucher, die zufällig vor Ort waren.« Einige der Zeugen sollen bereits bei der Staatsanwaltschaft entsprechend ausgesagt haben. Der Anwalt selbst hat Strafanzeige gegen Joachim Lenders, den Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, wegen übler Nachrede und Beleidigung gestellt. Lenders hatte Beuth verbal attackiert und als Lügner bezeichnet.

Wegen des Angriffs auf den Polizisten, der am 28. Dezember mittels eines schweren Gegenstands aus nächster Nähe am Kopf verletzt wurde, wird nach wie vor gegen Unbekannt ermittelt. »In 39 Fällen wird zurzeit gegen Demonstranten ermittelt«, sagt Oberstaatsanwältin Nana Frombach zu den Ereignissen am 21. Dezember. Gegen Polizisten lägen sieben Anzeigen vor. Die Zahlen seien noch nicht endgültig.

Demonstrationen und Protestversammlungen finden auch nach der Aufhebung der Gefahrengebiete statt. Wöchentlich gibt es kleine Kundgebungen für ein Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge. Für den 1. März ist eine größere Demonstration angekündigt.

Die Schutzsuchenden sind derweil immer noch in Containern auf Kirchengelände oder privat untergebracht. »Die Verhandlungen mit dem Senat über den Aufenthaltsstatus laufen weiter«, erklärt Constanze Funck, Nordkirchen-Koordinatorin für die Flüchtlingsgruppe Lampedusa. Für Familien mit Neugeborenen, von denen es einige gibt, sei die Situation sehr schwierig. Benötigte Papiere würden nur zögerlich ausgestellt.

Und im Schanzenviertel schwelt der Konflikt um die Rote Flora weiter. Die Stadt, die Hamburgs berüchtigtste Immobilie von Eigentümer Klausmartin Kretschmer zurückkaufen will, zieht deshalb vor Gericht. Der Ausgang ist ungewiss.