Betonpiste durchs Erdinger Moos

In München wird das Urteil zur dritten Startbahn des Flughafens erwartet

  • Paul Winterer, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Jetzt gilt es: Bayerns Verwaltungsgerichtshof verkündet am heutigen Mittwoch, ob die dritte Startbahn am Münchner Flughafen gebaut werden darf. Oder fragen die Richter erst noch das EuGH?

Fast ein Jahr lang haben die Richter Akten gewälzt, sich stundenlange Redeschlachten der Prozessbeteiligten angehört, eifrig mitgeschrieben und danach in Kurzform zu Protokoll gegeben. Hunderte von Blättern Papier sind so beschrieben worden, zusätzlich zu den Tausenden Seiten des Planfeststellungsbeschlusses und der zahlreichen Gutachten. Es geht um eines der größten deutschen Bauvorhaben: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) muss entscheiden, ob die Baugenehmigung für die milliardenteure dritte Startbahn am Münchner Flughafen rechtmäßig ist oder nicht. An diesem Mittwoch verkündet der 8. Senat sein mit Spannung erwartetes Urteil.

Zahlreiche Kommunen, der Bund Naturschutz in Bayern (BN) und Privatleute klagen gegen die geplante vier Kilometer lange Piste. Beklagt ist der Freistaat Bayern, der die Baugenehmigung erteilte. Die Flughafen München GmbH (FMG) als Bauherr ist beigeladen. Dem Prozessverlauf nach dürfte es zu einer Niederlage der Kläger kommen. Selbst der BN-Kreisvorsitzende und Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Magerl rechnet mit einem »nicht erfreulichen Urteil«.

4000 Meter
Der geplante Bau der dritten Start- und Landebahn am Münchner Flughafen ist ein absolutes Großprojekt, das planungsrechtliche Verfahren zieht sich nun schon fast sieben Jahre hin. Die zwei vorhandenen Startbahnen sind jeweils 4000 Meter lang und 60 Meter breit. Auch die dritte Piste soll diese Abmessungen haben und 30 Flugbewegungen pro Stunde ermöglichen. Geht man von den Planungen aus, würde das Projekt rund 1,2 Milliarden Euro kosten. Wann die Piste in Betrieb gehen könnte, ist ungewiss. dpa/nd

 

Ein Indiz für die Abweisung der Klagen könnte die Ablehnung von über 200 Beweisanträgen durch den VGH gegen Ende des Prozesses sein. Die Startbahngegner hatten das Gericht zwingen wollen, neue Gutachten zum Bedarf für die Startbahn und zu Schäden für Mensch und Natur in Auftrag zu geben. Der Vorsitzende Richter Erwin Allesch machte jedoch klar, dass er die Beweisanträge als unerheblich für den Prozessinhalt ansieht.

Die am 20. März 2013 begonnene Beweisaufnahme war nach 46 Verhandlungstagen, davon fünf Ortstermine, am 15. Januar zu Ende gegangen. Für den Freistaat beantragte Landesanwalt Anton Meyer, »die Klagen sämtlich abzuweisen«. Der Prozess habe weder förmliche noch materielle Gründe geliefert, die die Planung infrage stellen könnten. Auch FMG-Anwalt Volker Gronefeld plädierte auf Klageabweisung.

Für die Startbahngegner ist die dritte Startbahn jedoch überflüssig, weil die Zahl der Starts und Landungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen sei. Tatsächlich gibt es weniger Flugbewegungen, weil die Maschinen immer größer werden und oft auch bis auf den letzten Platz ausgelastet sind. Magerl rechnete vor, dass es im Jahr 2013 rund 382 000 Starts und Landungen in München gab, während die FMG in ihrer zweiten, bereits nach unten korrigierten Prognose noch von 445 000 Bewegungen ausging. Selbst Flughafenchef Michael Kerkloh räumt ein, dass die rückläufige Tendenz bei den Starts und Landungen vorerst anhalten wird. Neben dem Urteil erwarten die Prozessbeteiligten auch mit Spannung, ob der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zulässt. Dann könnten die Verlierer die nächste Instanz ohne Umwege anrufen. Lehnt Allesch dies ab, gibt es die Möglichkeit der sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde. Die obersten Verwaltungsrichter in Leipzig müssten dann entscheiden, ob sie sich mit dem Fall beschäftigen oder nicht.

Doch es gibt einen dritten Weg. BN-Anwalt Ulrich Kaltenegger schließt nicht aus, dass die Münchner Richter ihre Luxemburger Kollegen vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) befragen, ehe sie ihr Urteil fällen. »Falls der VGH die Begründetheit der Klagen noch nicht für erwiesen erachtet, ist es dringend geboten, das Verfahren auszusetzen, um mehrere Rechtsfragen zum Naturschutz durch den EuGH prüfen zu lassen«, erläutert der Anwalt.

So müsse geklärt werden, ob das Vogelschutzgebiet Erdinger Moos, in dem die Piste geplant ist, durch den Freistaat bisher überhaupt europarechtskonform geschützt wird. Wenn nicht, »kann dort auch keine vier Kilometer lange Startbahn hineinbetoniert werden«, meint Kaltenegger. Erst nach Klärung dieser Fragen solle der VGH sein Urteil fällen. Die Anrufung des EuGH würde das Urteil des 8. Senats um etwa ein Jahr verzögern.

Doch auch ohne EuGH vergeht noch viel Zeit, ehe das Urteil rechtskräftig ist. Es dauert Monate, bis die schriftlichen Urteilsgründe des VGH vorliegen. Danach haben Kläger und Beklagte einen Monat Zeit, um Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, wie Gerichtssprecherin Andrea Breit erläutert. Einen weiteren Monat dürfen sich die Anwälte für die Begründung ihrer Anträge Zeit lassen. Bis die Richter in Leipzig in die komplexe Materie eingelesen sind, vergehen noch einmal Monate, so dass nicht vor dem Herbst eine Entscheidung über die nächste Instanz fällt.

Bleibt die politische Ebene des umstrittenen Milliardenprojekts. In einem Bürgerentscheid lehnte die Münchner Bevölkerung im Juni 2012 den Bau der dritten Startbahn ab. Die bayerische Landeshauptstadt als Miteigentümerin des Flughafens durfte somit dem Projekt in der Gesellschafterversammlung nicht zustimmen. Weil dort aber einstimmige Beschlüsse notwendig sind, war die Piste erst einmal auf Eis gelegt. Der Bürgerentscheid hat zwar nur ein Jahr Gültigkeit, doch sehen sich alle Rathausparteien auch längerfristig an das Votum gebunden.

Denkbar ist auch eine Art landesweiter Bürgerentscheid. Seit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erklärtermaßen das Volk zu seinem Koalitionspartner erkoren hat, gilt eine Befragung aller Bürger in dieser Frage als nicht ausgeschlossen. dpa/nd

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