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Zum Fressen zu schade

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 7 Min.
»Man kann Tiere womöglich doch lieben und sie ganz bewusst essen«, behauptete Kolumnistin Kathrin Zinkant vergangenes Wochenende im nd. Doch mit Liebe hat das Töten von Tieren nichts zu tun. Eine Antwort.

Kathrin Zinkant ist nicht zwingend die erste Expertin, die einem in der Debatte um die Widersprüchlichkeit des menschlichen Handelns einfällt. Die Autorin für den Fortschritt hat im nd vom 22.02.2014 die US-Psychologin Melanie Joy für sich entdeckt und mal eben mit einem Federstreich ihre Forschungsergebnisse zu unserem Umgang mit Tieren für vollkommen falsch erklärt. Es sei eben doch möglich, etwas zu tun, obwohl es doch oberflächlich betrachtet unserer zur Schau getragenen Überzeugung widersprechen müsste. Zinkant stellt die Behauptung auf, wonach selbst das menschliche Bewusstsein über die Verhältnisse nicht zwingend dazu führen muss, dass wir wir den Drang verspüren, etwas an diesem Zustand ändern zu wollen. In ihrer Argumentation bezieht sie sich dabei wesentlich auf Joys Beschreibung des Karnismus.

Zikant kommt zu dem Schluss, wir könnten Tiere lieben und sie dennoch ganz bewusst essen, was nach Joys Theorie allerdings einen Widerspruch darstellen würde. Zwar geht es Zinkant in ihrer Kolumne um die grundsätzliche Widersprüchlichkeit unseres Handels, doch ihre wesentliche Argumentationskette zielt – bewusst oder nicht – auf eine Delegitimation von Joys Karnismus-Modell ab. Dabei, und diesen Vorwurf muss man der Kolumnistin leider machen, ist sie bei ihrer Recherche mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum über den Einführungstext zu Joys »Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen« hinausgekommen. Obwohl die Reduzierung auf einen wesentlichen Kern für einen Debattenbeitrag allein aus Platzgründen vernünftig erscheint, führt dies im Fall von Zikant zu einer falschen Schlussfolgerung.

Die Kolumnistin reduziert Joys Konzept auf den Punkt der Bewusstseinsspaltung, wonach wir das Fleisch auf dem Teller ohne schlechtes Gewissen essen könnten, weil wir keine Verbindung zu dem Lebewesen dahinter herstellen. Nun darf sich jeder selbst die Frage stellen, ob er bei seinem heutigen Kantinenbesuch über das tote Tier auf seinem Teller tatsächlich nachgedacht hat, wie es beispielsweise religiöse Menschen tun, die sich vor jeder Mahlzeit artig bei einem höheren Wesen namens Gott für Speis und Trank bedanken. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es der Kantinenbesucher nicht tun. Das Bewusstsein über das Leiden in der Tierproduktion würde auch allzu unappetitlich ausfallen: Im lebendigen Zustand hat das Stück Fleisch vermutlich entweder in seiner eigenen Scheiße gestanden (Schweine), hat wahlweise Kannibalismus betrieben (Hühner) oder sich von Schmerzen geplagt die nächste Leerung des prallen, häufig entzündeten Euters herbeigesehnt. Eben diese Realität ist es, mit der sich rund 98 Prozent der Nutztiere herumschlagen müssen.

Doch zurück zu Zinkants Argumentation, die sich allein deshalb als falsch erweist, da sie anstatt das gesamte Karnismus-Modell zu betrachten, dieses auf einen einzelnen Aspekt reduziert, der zwar ihre Argumentation stützt, im Grunde nicht aber einmal ansatzweise die Ideologie des Fleischessens erklärt. Genau diese beschreibt Joys Karnismus und eben nicht nur den – wenn auch wichtigen Teilaspekt - der Bewusstseinsspaltung, der bei Joy unter dem Stichwort Verborgenheit nachzulesen ist. Dieser ist allerdings nur eine der vielen Abwehrstrategien, die sich innerhalb der Ideologie des Fleischessens herausgebildet haben. Gute Zusammenfassungen bieten dazu beispielsweise der Vegetarierbund Deutschland sowie die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt.

Zinkant versucht ihre These zu stützen, indem sie auf das Projekt »Meine kleine Farm. Wir geben Fleisch ein Gesicht« verweist, was de facto den Gegenbeweis zu Joys Karnismus-Modell darstellen würde. Zinkant behauptet, dieses Geschäftsmodell würde zeigen, dass Menschen Tiere lieben könnten und sie dennoch essen. Abgesehen davon, dass das hier vorgestellte Modell nicht einmal eine Nische innerhalb der Nische des Biofleischmarktes abdeckt und damit nicht repräsentativ ist, sollte die Frage erlaubt sein, inwieweit die Wurst mit Gesicht und der im Vergleich zur konventionellen Massentierhaltung etwas transparentere Biofleischmarkt, tatsächlich etwas mit Bewusstwerdung und noch viel wichtiger mit Liebe zu tun haben.
Biofleisch ist kaum mehr als die Reaktion innerhalb des Karnismus darauf, Menschen mit einem Bauchgrummeln in Anbetracht der immer wieder auftretenden schrecklichen Bilder aus der Massentierhaltung, auf der Seite der Fleischesser zu halten. Grundsätzlich ist Biofleisch nicht mehr als eine Form des modernen Ablasshandels. Mit Geld können wir uns den Glauben daran erkaufen, dass es dem Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank wenigstens besser ging als im Vergleich dazu den Millionen Artgenossen in den Tierfabriken. Doch »Meine kleine Farm«, wie auch alle anderen Biofleischproduzenten, sind nicht daran interessiert, am grundsätzlichen Glaubensmodell Karnismus zu rütteln, wonach Fleischkonsum normal, legitim und alternativlos sei. »Man kann Tiere womöglich doch lieben und sie ganz bewusst essen«, konstatiert Zinkant. Dabei ist strittig, ob in diesem Zusammenhang überhaupt von Liebe die Rede sein kann. Einigt man sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, wonach es sich bei Liebe um die stärkste Form der Zuneigung handelt, so lässt sich im Fall von Fleischkonsum wohl kaum von Liebe sprechen.

Diese Behauptung kann jeder selbst überprüfen:
Würden Sie ihre Partnerin oder ihren Partner, und sei es noch in der abwegigsten Notsituation, essen, obwohl sie ihn lieben? Wie würden Sie reagieren, wenn ein Familienmitglied eines Tages auf die Idee käme, ihren geliebten Golden Retriever zu verspeisen?

Liebe und den Geliebten zu essen, schließt sich in beiden Fällen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus. Was Zinkant als Liebe bezeichnet, ist in Wahrheit lediglich der Versuch, sich um die Frage zu drücken, weshalb wir Tiere überhaupt essen oder meinen, sie überhaupt essen zu müssen. Im Veganismus geht es im Übrigen nicht um das Ziel, jedes Tier zu lieben. Der Autor dieser Zeilen dürfte dazu ein willkommenes Beispiel abgeben: Einem unangenehmen Zusammentreffen mit deutschen Schäferhund in Kindheitstagen habe ich es bis heute zu verdanken, dass ich um Hunde, die mir mindestens bis zum Knie reichen, auf der Straße einen großen Bogen mache. Dennoch würde ich genauso protestieren, wenn jemand einen Hund – oder jedes andere Tier – misshandelt. Die Verteidigung von Rechten und in diesem Fall der Rechte von Tieren, basiert keineswegs auf dem Prinzip Liebe, sondern ergibt sich aus der Überzeugung, dass es kein Wesen verdient, von einem anderen ausgebeutet und geschädigt zu werden.

Schließlich muss ich auch nicht jede einzelne Person auf diesem Planeten lieben, nur um ihr universelle Grundrechte einzuräumen. Täte man dies allein der Liebe wegen, dann hieße dies im Umkehrschluss, dass man theoretisch all jenen, die man nicht liebt, diese Grundrechte absprechen könnte. Genau dies geschieht aber im Karnismus. Diese Ideologie bedient sich einer Kategorisierung von Lebewesen in Schubkästen mit Bezeichnungen wie Liebe (Haustiere), Mitleid (gequälte Haus- oder Zootiere), Hass (Ratten, Spinnen, diverse Insekten) und essbar (Nutztiere), die sich teilweise auch überschneiden können. Unter diesem Blickwinkel ist auch das von Zinkant bemühte Beispiel der Giraffe Marius aus dem Kopenhagener Zoo zu verstehen. Die schockierten Reaktionen der Zoobesucher sind absolut kompatibel, ja geradezu notwendig für den Erhalt des karnistischen Denkens. Wer tierische Produkte isst und sich über den Tod von Marius erregt, tut dies nicht aus Liebe zur Giraffe, sondern lediglich aus Mitleid. Zinkant liegt hier zwar mit ihrer Feststellung richtig, dass dieses Verhalten an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten ist, zieht daraus allerdings nicht die Schlussfolgerung, dass genau dieser Widerspruch ein Wesenszug des Karnismus ist. Veganer, die ihre Überzeugung auch auf tierrechtliche Beweggründe zurückführen, lieben den Zoo in alle Regel nicht – stattdessen fordern sie dessen Abschaffung. Ganz bewusst.

Zum Fressen gern
Kathrin Zinkant über das seltsame Verhältnis der Deutschen zur Natur

Karnismus
Der Begriff Karnismus (carnism) wurde von der amerikanischen Psychologin Prof. Dr. Melanie Joy, Autorin von »Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen« (»Why we love dogs, eat pigs and wear cows«), im Rahmen ihrer Doktorarbeit geprägt.

Karnismus: die Psychologie des Fleischkonsums
Karnismus beschreibt die Ideologie des Fleischessens. Dieses Video beschreibt das Phänomen

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