Fehlanzeige

Fritz Kühn oder die Tretminen der Kunst - nicht nur in Berlin

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 7 Min.
Für Westberlin schuf Bernhard Heiliger 1963 die bronzene »Flamme« auf dem Ernst-Reuter Platz (Bild oben), Fritz Kühn für Ostberlin 1967 den Brunnen auf dem Strausberger Platz - die Plätze galten als Mittelpunkte der jeweiligen Stadthälften. Die beiden Werke erinnern heute an eine Zeit, in der die zwei Berlins zumindest im Künstlerischen miteinander wetteiferten. Doch was die Bewahrung des Erbes der Künstler betrifft, misst man nunmehr offenbar mit zweierlei Maß: Während die Bernhard-Heiliger-Stiftung dank Mitteln der Deutschen Klassenlotterie in der Lage ist, in jenem Atelier, das Adolf Hitler für Arno Breker, Heiligers Lehrer, errichten ließ, eine Ausstellung einzurichten, wurde der größte Teil des Bohnsdorfer Grundstücks, auf dem Fritz Kühns zeitlebens arbeitete, kürzlich geräumt. Das Grundstück sei »unredlich« erworben worden, weshalb die Alteigentümer ihren Anspruch darauf geltend machen konnten.
Brunnen auf dem Strausberger Platz
Brunnen auf dem Strausberger Platz

Nun haben wir also den Salat. Der Staatssekretär fürs Kulturelle in unserer Hauptstadt Berlin ist es nicht mehr. Nach gütlich bereinigter erheblicher Steuerhinterziehung lebt er frohgemut vom ebenso erheblichen Vermögen weiter. Und da dank Fürsprache des ihm zugetanen Regierenden Bürgermeisters jeglicher Fehl aus seiner Biografie getilgt ist. wird er in Wilmersdorf und auf seinem ländlichen märkischen Schlosswohnsitz ein auskömmliches Ruhegehalt sowie Beamtenpension verzehren dürfen. Wehmütig wird er mit ansehen müssen, wie nunmehr andere die Strippen im kulturellen Beziehungsgeflecht ziehen. Vielleicht aber erbarmt sich Frank Castorf seines einstigen Bürochefs, und lässt ihn diesmal als kuriose Figur auf der Bühne mal schauspielern.

Die Kunstschaffenden stehen am Rande - und gucken blöd. Ein für sie enttäuschender Hoffnungsträger mehr verlässt die Bühne. Sein Ausrutschen auf dem Parkett des finanziellen Anspruchsdenkens allein war eine Schlagzeile wert. Niemand bewertete neben dem privaten Fehlverhalten seine Amtsführung im Bezug auf die Künste. Pseudovisionär Wowereit hangelt sich von Flop zu Flop. Neubauten von Landesbibliothek und Kunsthalle bleiben fromme Wunschträume. Was Wunder: Geldfressanlagen wie Kanzler-U-Bahn und Schlossneubau werfen jede Kosten-Nutzen-Rechnung über den Haufen. Schmitz durfte zum Ausgleich bei Peanuts immer Sparzwänge erklären. Ein für den Erhalt erheblichen Berliner Kunstbestandes bitter nötiger Depotneubau für die Burg Beeskow? Unbezahlbar. Ein versprochenes Museum für den Nachlass Fritz Kühn? Unbezahlbar. Auf gut deutsch - so etwas ist uns keine nennenswerte Anstrengung wert.

Fritz Kühn, Kunstschmied, Metallgestalter, Fotokünstler. Er war immer eine gesamtdeutsche Instanz. Seine Lebenszeit von 1910 bis 1967 war von intensiven Schaffensjahren geprägt. Er hat für die Bundesrepublik mit dem filigranen Tor zur Weltausstellung in Brüssel und für den Westberliner Bildhauer Bernhard Heiliger mit der Gedenkwand Siemens sowie allein für über fünfzig Kirchen in ganz Deutschland gearbeitet - und für den Berliner Magistrat. Nur mit den Buchstaben DDR ist er nicht zu fassen. Die Justiz sieht das anders. Den 1958 getätigten Kauf des Grundstücks, auf dem er zeitlebens arbeitete und auf dem all diese Arbeiten entstanden, annullierte sie als »unredlich«. Genau dort aber ist das Museum vorgesehen. Achim Kühn, würdiger Fortsetzer der Arbeit des Vaters, selbst gestraft von der Vernichtung vieler eigener Arbeiten im Zuge von Neubebauungen, konnte nur den kleineren Teil des umfangreichen Areals zurückkaufen. Der größere Teil ist nun unter den Hammer, Verzeihung, unter den Bulldozzer gekommen. Konsequenz der Alteigentümer - man will Geld sehen. Sonst nichts.

SPD und CDU sind es, die derart untragbare Fehlbeurteilungen tragen. Hat der von ihnen verwaltete Staat als Auftraggeber und Förderer überhaupt ein Konzept für Schöpfungen von Kunst und für Neubauten? Fehlanzeige. Private Großmannssucht errichtet nun kunstlose Herrschaftsarchitektur. Glas und Beton um viel Leerraum. Bronze, Stahl, Stein oder noch modernere Materialien, fantasievoll geformt mit geistiger Ausstrahlung? Fehlanzeige. Wandgestaltungen oder plastische Ornamentik an Gebäuden? Fehlanzeige. Da ist es kein Wunder, dass das Erbe der bildkünstlerischen Historie Berlins wenig Achtung genießt. Das Stadtmuseum versteckt hinter dem Vorzeigeprojekt Ephraimpalais ein gesichtsloses Schattendasein, und die Berlinische Galerie ist westberlinisch geblieben. Hatte es nicht Jahrzehnte zwei ungleiche Stadthälften gegeben, die zumindest im Künstlerischen auf Augenhöhe miteinander wetteiferten? Hansaviertel versus Karl-Marx-Allee. Schaubühne versus Komische Oper. Philharmonie versus Staatskapelle. Überall gibt es anerkannte Parallelen zwischen Ost und West, mit denen man heute noch renommieren kann. Das Bildkünstlerische bis hin zur Kunst am Bau oder Bau als Kunst hat es da ungleich schwerer.

Westberlin band zwar am Anfang große Architekten sowie Künstler wie Bernhard Heiliger. Doch die Zeit genialer Scharoun-Entwürfe wurde abrupt mit dem plumpen Monstrum ICC beendet. Bildkünstlerisch ausgehungert. Dagegen hatte der dem Nachwendehass geopferte Palast der Republik ein geradezu musisches Flair, gesättigt mit künstlerischen Beigaben. Heiliger hatte vorher einmal die große Chance. Als aus dem einstigen »Knie« der Ernst-Reuter-Platz wurde, war seine gewaltige bronzene »Flamme« 1963 dort zum Fanal für die »Freie Welt« geworden. Fritz Kühn setzte auf friedliche Harmonie und hinterließ 1967 im Gegenzug sein Vermächtnis am Strausberger Platz mit dem kupfernen »Schwebenden Ring«. Beide Plätze galten als Mittelpunkte der jeweiligen Stadthälften.

Der Kunstschmied Kühn und der Metallbildhauer Heiliger. Die Parallelität beider Biografien geht bis ins Absurde. Heiliger (Jahrgang 1915) verdankte sein Dahlemer Schaffensareal einem tatsächlich keineswegs »redlichen« Erwerb: Sein Lehrer und Förderer Arno Breker hatte hier für Hitler seine monströsen Giganten modelliert. Der Schüler durfte ihn beerben, und fortan andere Wege gehen. Auf ideologisch kontaminiertem Boden realisierte er ganz respektabel ein der Demokratie angemessenes eigenes Programm. Und heute wird das Ganze großzügig mit dem Geld der Deutschen Klassenlotterie bewahrt - während Kühns schon vor dem Krieg genutztes Terrain privatem Geld geopfert wird.

Das juristische Konstrukt vom »unredlichen Erwerb« bei zahlreichen Rückübertragungen ist in Bezug auf die Entstehungsbedingungen für künstlerische Werke besonders perfide. Unterstellt es doch ebenso politisch motivierte Begünstigungen wie bei der »Arisierung« jüdischen Eigentums in der NS-Diktatur. Dort wird sehr spät, aber nicht zu spät, korrigierend eingegriffen. Daran ist in diesem umgekehrten Fall keinesfalls zu denken. Wie kann es sein, dass Recht und Gesetz objektiv oft genug künstlerische Leistungen negieren? Urheberrecht hin, Urheberrecht her - Künstler müssen ohnmächtig hinnehmen, dass Neubesitzer von Gebäuden ohne Ansehen von Person und künstlerischer Qualität ihre baugebundenen Werke daran beseitigen. Die Zahl solcherart verlorengegangener Kunst ist Legion.

Auch hier trifft es wieder Fritz Kühn. Sein allerletztes, bereits von Achim Kühn realisiertes künstlerisches Projekt befindet sich am Haus der Statistik, Ostseite Alexanderplatz. Das Haus ist seit 2008 leergeräumt, und dem Verfall preisgegeben. Es steht vor dem Abriss. Stattdessen soll schräg gegenüber der kalifornische Stararchitekt Frank Gehry eine 150 Meter hohe gedrehte Pfeffermühle als Hotel errichten. Nicht nur, dass das gegebene städtebauliche Ensemble damit endgültig kaputt gemacht wird. Rund um den Fernsehturm sind schon irreparable Korrekturen daran vorgenommen. Die schwungvoll-elegante Fußbebauung Walter Herzogs möchte man allzu gern trotz Denkmalschutz zur Disposition stellen. Mit der profitablen Bebauung der wunderbaren Parkanlage bis hin zur Spree wird die notwendige Horizontale zur Vertikale des Turms ohnehin beseitigt. Hinter der Spree wird uns dann der langweilig gerasterte Betonriegel Frank Stellas zum Abschluss der historischen Schlossfassade empfangen. Hochoffiziell beglaubigt. Hochgelobt, und doch so befremdlich.

Geldgier macht blind und trübt das Stadterlebnis. Menschlichem Maß entsprechende künstlerische Prinzipien landen bei architektonisch anmaßenden Konzepten auf dem Müll. Es geht einerseits nach Gesetz und andererseits nach Geschäft. Historiker halten die ideologische Flanke frei. Frühere Jahrhunderte werden aufgewertet. Das Wirken der Hohenzollern gilt als so segensreich, dass weitere Entschädigungen in barer Münze fällig werden. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in derselben Region gilt immer noch nicht als Erbe, weil belastet. Es ist nicht einzusehen, wieso die Kulturklausel im Einigungsvertrag - »Die kulturelle Substanz darf keinen Schaden nehmen« - nur eine Floskel ohne juristischen Wert bleiben musste. Immer wieder läuft die Berufung darauf ins Leere. Nicht einmal bei der Petition zur Rettung des Nachlasses von Fritz Kühn an den Bundestag kann man sich daran festhalten. Weil seinerzeit die Akte dazu nicht büromäßig als »schützenswertes nationales Kulturgut« abgeheftet wurde, zuckt man offiziell die Schultern. Und ob auf Bundesebene Verständnis und Einfühlungsvermögen regiert, das mag jeder für sich beantworten.

Die Verantwortung der Berliner Politik in allen Ehren, aber die geschilderten Probleme sind kein isoliertes Hauptstadtproblem. Die Prinzipien und Arbeitsergebnisse Fritz Kühns und vieler anderer ihm verwandter Geister werden ja flächendeckend ignoriert. Die Verachtung des Vergangenen rächt sich in der epidemisch grassierenden Maßstablosigkeit. Wo man auch hinsieht - was als modernes Denkmal gedacht ist, spottet jeder Beschreibung. Leipzigs Einheitsdenkmal droht ähnlich zur Farce zu werden wie seine Richard-Wagner-Figur à la Barkenhol. Potsdams neuen Landtag schmückt einzig eine Bonmot sein sollende Schriftzeile. Innewendig im Plenarsaal regt die Leute nur die Farblosigkeit des Wappentiers auf, nicht seine hilflos mit den Füßen vorm Fenster strampelnde Gestalt.

Unser Rechtssystem öffnet gern kommerziellen Begehrlichkeiten Tür und Tor. Was als Rechtsstaat dafür da ist, Menschenwürde und Bürgernähe zu schützen, gerät so ins Zwielicht. Schmerzhaft ist immer wieder die Erfahrung, dass die Kunstszene oft genug ohne jeglichen Rechtsschutz rabiaten Attacken ausgesetzt ist. Die Tretminen der Spardiktate reißen Finanzierungslücken auf, in denen ganze kulturelle Institutionen verschwinden. Seit der Disput über die Aktualisierung des Urheberrechts zu einer regelrechten Treibjagd gegen den Wert geistiger Urheberschaft an sich missbraucht wird, drohen alle Dämme zu brechen.

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