Das Ticket zum Diskurs

Ingo Stützle erklärt, warum es die soziale Ungleichheit plötzlich in den Wirtschaftsteil der Presse schafft

  • Ingo Stützle
  • Lesedauer: 3 Min.

Kürzlich wurden gleich zwei Studien zu Ungleichheit veröffentlicht und heiß diskutiert. Einige Linke rieben sich die Hände - schließlich kam Zuspruch von ungewohnter Seite: dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Laut dessen Studie sind ungleiche Einkommensverhältnisse für schwaches Wirtschaftswachstum mitverantwortlich. Die zweite Untersuchung kommt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zusammenfassend stellte dieses fest, dass »Deutschland im internationalen Vergleich ein hohes Maß an Vermögensungleichheit« aufweise.

Bei derartigen Steilvorlagen glauben Linke dann auch mal den Statistiken, die sie nicht selbst gefälscht haben. Zusammen ergeben die Studien nämlich folgende wirtschaftspolitische Forderung: Mehr soziale Gleichheit als Wirtschaftsmotor! Endlich kann man Umverteilung von oben nach unten als vernünftige Wirtschaftspolitik verkaufen.

Wie kommt der IWF zu seinem Ergebnis? Eigentlich ist die Prämisse, unter der argumentiert wird, recht simpel: Erkenne bei der Betrachtung kapitalistischen Wirtschaftens die betriebswirtschaftliche Sicht nur als einen Teil der Wahrheit an. Denn: Löhne stellen für ein Unternehmen zwar Kosten dar, ebenso wie Steuern und Sozialabgaben. Der Lohn ist aber immer auch Teil der gesellschaftlichen Nachfrage - wie Steuern. Sie sind Kosten für Unternehmen, aber als Staatsausgaben ebenso Teil der gesellschaftlichen Nachfrage.

Seit den 1970ern ist eine Entwicklung erkennbar, die den beiden Momenten eine geringere Bedeutung zukommen ließ: die Lohnquote sank - ebenso Steuern auf Vermögen und Kapitaleinkommen. Die Umverteilung hatte nicht nur zur Folge, dass die Nachfrage nach Luxusgütern stieg. Denn selbst von teurem Käse und großen Jachten haben auch die oberen Zehntausend irgendwann mal genug und hoffen stattdessen auf sichere und rentable Anlagemöglichkeiten. Deshalb wuchsen die Finanzmärkte dank eines erweiterten Angebots an fiktivem Kapital.

Dass das nicht gut ging, hat die Krise gezeigt. Die Wirtschaft wurde zwar kurzfristig staatlich gestützt. Vor allem wurden Banken und Finanzvermögen gerettet. Aber der Austeritätskurs und die jahrzehntelange Umverteilung von unten nach oben zeitigten ihren Tribut: Rezession und Stagnation. Banken vergeben in der EU keine Kredite an riskante Unternehmungen, auch wenn Firmen das wollen; kreditwürdige Unternehmen brauchen keine aufgrund mäßiger Gewinnaussichten - da kann sich die Europäische Zentralbank zinspolitisch auf den Kopf stellen. Das ist u.a. der Grund, warum es Analysen wie die des IWF derzeit in den Wirtschaftsteil der Zeitung schaffen - nicht weil es sie vorher nicht gegeben hätte.

Nur: Die Umverteilung seit den 1970ern war kein wirtschaftspolitisches Fazit einer wissenschaftlichen Studie, sondern Ergebnis eines Klassenkampfs von oben. Und: Zweck der IWF-Übung ist nicht, dass ärmeren Menschen nicht so schnell die Zähne ausfallen, sie wieder wissen, wovon sie morgen leben sollen, sondern: Wirtschaftswachstum. Der politische Wille zu diesem ist zudem das Ticket, das man vorweisen muss, möchte man als ernsthafter Teilnehmer einer wirtschaftspolitischen Diskussion anerkannt werden. Wer das Ticket nicht hat, kann nicht mitreden. Der Diskurstheoretiker Michel Foucault hätte seine Freude gehabt. Alle wollen aus der Krise »herauswachsen« - nur eben unterschiedlich. Während die einen auf weniger Staat und Sparkurs setzen, sowie auf ArbeiterInnen, die »maßhalten«, wollen die anderen das Wirtschaftswachstum durch die Stärkung der gesellschaftlichen Nachfrage ankurbeln.

Nicht nur für den IWF ist jedoch klar: Ungleichheit bleibt einer der wichtigsten Antriebskräfte für Innovation, Unternehmergeist und Risikobereitschaft. Ohne Fleiß kein Preis. Deshalb stellt die Studie auch klar, dass nur »zu viel« Ungleichheit dem Wirtschaftswachstum abträglich sei.

Statt sich jedoch auf diese eingeschworene »Parallelgesellschaft« und ihre skurrile Diskursregel »Wirtschaftswachstum« einzulassen, sollte die Linke besser darüber diskutieren, wie höhere Löhne und Sozialbezüge nicht Mittel, sondern selbst Ziel von Politik werden; ja, warum ein gutes Leben jenseits des Zwangs zu Lohnarbeit und Wachstum möglich und nötig ist.

Ach ja: Der IWF kommt übrigens zu dem Schluss, dass in Deutschland die krasse Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen keine Wachstumsbremse sei. Es gebe hierzulande ja noch genug Sozialstaat. Soviel dazu.

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