nd-aktuell.de / 02.04.2014 / Berlin / Seite 9

«Ein sympathischer Politiker reicht nicht»

Initiativen kritisierten Entlassung von Staatssekretär Gothe und bekamen überraschenden Besuch

Bernd Kammer
Vor einer Woche entließ Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) seinen Staatssekretär Ephraim Gothe. Bei stadtpolitischen Initiativen löste das Irritationen aus.

Diese Überraschung war ihm gelungen, praktisch ein zweites Mal binnen einer Woche: Gestern hatten wohnungs- und stadtpolitische Initiativen die Presse eingeladen, um ihre Sorge über Gothes Rausschmiss und die Erwartungen an seinen Nachfolger Engelbert Lütke Daldrup zu bekunden, da nutzte er selbst die Gelegenheit, um sich ihnen vorzustellen. Noch nicht als Staatssekretär, dazu wird er offiziell erst am 7. April berufen, sondern «in meiner Freizeit». Er wolle damit ein Zeichen setzen, «dass ich zum Dialog bereit bin».

Das ist das Mindeste, was die Gruppen von ihm erwarten. Denn die Öffnung des Senats ihnen gegenüber sei «wesentlich von Herrn Gothe» betrieben worden, heißt es in einer Erklärung. Mit seiner Entlassung sei die Arbeit in den Initiativen für bezahlbare Mieten, bei Stadt Neudenken oder für eine neue Liegenschaftspolitik in Frage gestellt, kritisierte Les Schliesser von ExRotaprint. Er sieht die Absetzung als Schwäche von Senator Müller in der Auseinandersetzung mit Finanzsenator Nußbaum. «Die Umsetzung der selbst gesteckten Ziele bleibt in der Blockadehaltung des Finanzsenats hängen.» Neubauen in Berlin könne ein Risiko sein. Nun solle das Risiko eines Scheiterns Gothe allein angeheftet werden. «Dabei geht es nicht um die 137 000 Wohnungen, die neu gebaut werden sollen, sondern um die Frage, wer es sich nachher leisten kann, darin zu wohnen», so Schliesser.

Geduldig hörte sich Lütke Daldrup gut eine Stunde lang an, wie sich die Initiativen eine neue Berliner Stadtentwicklungspolitik vorstellen. Teilweise klang das wie ein Nachruf auf seinen Vorgänger. Alexander Kaltenborn von Kotti & Co erinnerte an die erste Begegnung seiner Initiative mit Gothe, als der den von extremen Mietsteigerungen bedrohten Mietern rund um den Kottbusser Platz Umzugshilfen anbot. «Das war natürlich nicht das, was wir wollten, aber später hat er mit uns eine Konferenz zum sozialen Wohnungsbau organisiert.» Aber natürlich reicht ein «sympathischer Politiker» nicht aus, wenn es um die «soziale Wohnraumversorgung der Ärmsten der Stadt» geht, weiß Kaltenborn. Die Situation sei dramatisch. Er habe den Eindruck, dass Berliner mit geringem Einkommen in der Stadtpolitik gar nicht mehr vorkämen. Wenn der Senat 137 000 neue Wohnungen bis 2025 bauen wolle, aber «unsere Lösungsvorschläge für die Rettung der verbliebenen 140 000 Sozialwohnungen ignoriert, vertritt er offensichtlich nicht die Interessen der Berliner, sondern der Immobilienwirtschaft», so Kotti & Co.

Aljoscha Hofmann von Think Berlin, einer Gruppe von Stadtplanern und Architekten, wunderte sich, warum Gothe zu einem Zeitpunkt entlassen wurde, «an dem viele Instrumente beginnen zu greifen». Und jetzt komme jemand, «der für eine starke Hand steht, der mit Investoren gebaut hat und nicht mit den Akteuren von unten. Es gehe nicht nur um bezahlbare Mieten, sondern auch darum, wie Berlin mit innovativen Lösungen Klimawandel und Energiewende angehe. »Deshalb wollen wir hier klar machen, dass Sie an uns nicht vorbeikommen«, so Hofmann und forderte Lütke Daldrup auf, die Themenkomplexe »mit mutigen Ideen« anzugehen.

Der ließ sich in seiner »Freizeit« noch nicht groß in die Karten gucken, aber einiges dürfte die Kritiker doch ein wenig beruhigt haben. Er stehe für partnerschaftliche Verhältnisse in der Stadtpolitik, denn diese werde nicht von einem allein gemacht. Er wolle sich vor allem mit dem Wohnungsbestand beschäftigen, »denn die meisten Wohnungen, die wir brauchen, sind schon da«. Doch wenn es zu wenige Wohnungen gibt, treibt das die Miete in die Höhe. Deshalb wolle er sich um den Bestand und den Neubau kümmern. Als sein Leitspruch zitierte er Hardt-Waltherr Hämer, den vor zwei Jahren verstorbenen Stadtplaner und Retter von Kreuzberg vor der Kahlschlagssanierung: »Wohnen heißt bleiben.«