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Stalking unter Christdemokraten

Bewegungsprofile, Fotos, Dossiers - wie der Bürgermeister von Tangstedt überwacht wurde

  • Olaf Harning
  • Lesedauer: 3 Min.
In der CDU von Tangstedt, einem 6000-Einwohner-Ort in Schleswig-Holstein, gibt es eine Überwachungsaffäre. In der Folge ist die Gemeindefraktion der Christdemokraten zerfallen.

Weil sie Bürgermeister Klaus Paasch (58) nachweisen wollten, dass er gar nicht im Ort wohnt, überwachten führende Mitglieder der CDU im schleswig-holsteinischen Tangstedt (Kreis Stormarn) über Monate die Lebensgewohnheiten ihres Verwaltungschefs. Skurril: Paasch ist ebenfalls Christdemokrat, die Bespitzelung ist der Höhepunkt einer parteiinternen Fehde.

Es war ein Tag im Januar, als Paasch erstmals auffiel, dass er verfolgt wurde. Da saß er im Auto und bemerkte einen Wagen im Rückspiegel, der in den Folgetagen immer wieder auftauchen sollte, wenn er unterwegs war. Auch seiner Frau und den Nachbarn fiel das Fahrzeug auf. »Aber bis man auf die Idee kommt, mal ein Foto zu machen«, erinnert sich Paasch, »das dauert.« Im Januar, da war er noch Fraktionsvorsitzender der Tangstedter CDU. Knapp 70 Mitglieder zählt die Partei im Ort, mit sechs von 19 Sitzen ist sie stärkste politische Kraft in der Gemeindevertretung. Doch weil Paasch einst zusammen mit der örtlichen Bürgerinitiative gegen eine Ausweitung des nahen Kiesabbaus eintrat und zudem eine Umgehungsstraße durch den Tangstedter Forst ablehnte, machte er sich Teile der eigenen Partei zum Feind.

Zum Beispiel Günter Borcherding, Uwe Koops und Günter Schöpke. Alle drei sind um die 80 und alle drei sitzen im Vorstand der Tangstedter CDU, Borcherding sogar an ihrer Spitze. Nachdem der Gemeinderat den Kiesabbau begrenzt und die Umgehungsstraße abgelehnt hatte, äußerten sie den Verdacht, Parteifreund Paasch würde wohl gar nicht in Tangstedt wohnen, sondern im benachbarten Norderstedt. Seine Ämter, so die drei Männer, bekleide er daher zu Unrecht. Um ihre Vorwürfe zu untermauern, griffen die CDU-Patriarchen zu Methoden, die man sonst Nachrichtendiensten zuschreibt: »Mitte März tauchte im Amt Itzstedt ein Dossier auf«, erinnert sich Paasch schaudernd, »mit Fotos meiner Familie, Bewegungsprofilen und sogar Geldzahlungen meiner Kinder.« Das Rätsel des Autos im Rückspiegel war nun gelöst.

Inzwischen war Paasch für den erkrankten Holger Criwitz (SPD) als Bürgermeister eingesprungen. Er ließ seine Meldeadresse bereitwillig prüfen, um den Unfug zu beenden. Doch obwohl weder das Amt Itzstedt, noch die Stormarner Kommunalaufsicht Anhaltspunkte für einen Meldeverstoß des Verwaltungschefs fanden, drehten seine Verfolger noch einmal auf: Nachdem Schöpke das erste Dossier angefertigt hatte, war es nun Koops, der eine dicke Fotoakte »nachreichte«. Darin enthalten: »Präzise Beschreibungen, wer wann nachts auf unser Grundstück gegangen ist: 19.3., 2.46 Uhr - so etwas«, sagt Paasch. Und eine eidesstattliche Versicherung Koops, dass er selber die Fotos gemacht und auf das Grundstück vorgedrungen ist. Zwar liegt die obskure Akte mittlerweile der Staatsanwaltschaft vor, die psychische Belastung der Familie Paasch aber war bereits immens. »Wenn man diese Akte sieht«, sagt Paasch, »dann wird einem schlecht.« Und um noch einmal deutlich zu machen, worum es hier geht: »Irgendwann wird Stalking zur Belastung.«

Wie unter solchen Bedingungen noch Parteiarbeit möglich ist? »Gar nicht«, sagt Paasch. Vier der sechs Gemeinderatsmitglieder sind inzwischen aus der CDU ausgetreten, sitzen jetzt parteilos in der Fraktion. Auch der Bürgermeister selbst hat den Ortsverband verlassen und sich der Kreis-CDU angeschlossen. Immerhin: Die Arbeit im Gemeinderat ist von den Querelen kaum betroffen. Hier laufen die Debatten sachorientiert, und wenn schon Teile seiner eigenen Partei nicht hinter dem Bürgermeister stehen: SPD, FDP und die örtliche Wählergemeinschaft tun es.

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