Wer servierte »OSZE-Beobachter«?

Kein Kontakt zu Entführten - unklare Verantwortung bei geheimer Operation in der Ukraine

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit dem 5. März nimmt die Bundeswehr an Beobachtermissionen in der Ostukraine teil. Sie sind bilateral mit der neuen Kiewer Führung vereinbart. Wurde die nunmehr vierte Gruppe als Köder serviert?

Die das in dieser Situation angeordnet haben, »haben nicht alle Tassen im Schrank«, schimpft der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele und nennt solche Operationen »unverantwortlich«. Denn so könnte es Entwicklungen geben, »die Obama und Putin nicht mehr steuern können«. Auch der Außenpolitikexperte der Linksfraktion Stefan Liebich will Auskunft darüber haben, wer die Beobachtermissionen am Parlament vorbei befohlen hat. Eine Einladung der ukrainischen Seite ist ihm als Begründung nicht genug, um Soldaten in die Krisenregion zu schicken. Auch nicht, wenn sie dem Zentrum für Verifikationsaufgaben, also dem scheinbaren diplomatischen Dienst der Bundeswehr, zuzuordnen sind.

Wer die Mission angeordnet hat, ist unklar. Entsprechende »nd«-Nachfragen wurden am Dienstag vom Verteidigungsministerium nicht beantwortet. Und das, obwohl Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Montagnachmittag das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen besuchte. Sie ließ sich von Brigadegeneral Jürgen Beyer, dem Chef der 140 Mann starken Einheit, ausführlich informieren. Doch ihr anschließendes Statement war bestenfalls einsilbig.

Die rechtliche Grundlage für die Exkursion - neben der weitgehend problemlos verlaufenden OSZE-Beobachtermission von 140 Experten - ist das Wiener Dokument über Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung. Es wurde zwischen 57 Mitgliedsstaaten der OSZE geschlossen.

Im Berliner Auswärtigen Amt beruft man sich insbesondere auf das Kapitel X, Artikel 144.9 (Vereinbarung zusätzlicher Inspektions- und Überprüfungsbesuche durch Nachbarstaaten, insbesondere in Grenzgebieten) aus dem Jahr 2011. Die Gruppe von Bundeswehroberst Axel Schneider, der von den prorussischen Kräften am Sonntag in Slawjansk vorgeführt wurde, hatte - so sagte Schneider in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk am vergangenen Mittwoch selbst - ausschließlich den Auftrag, »reguläre staatsbewaffnete Kräfte« zu beobachten. Man kümmere sich um »Einheiten der Streitkräfte der Ukraine«, nicht um Aufständische oder gar russische Spezialeinheiten.

Angesichts dieser Erläuterungen durch den Delegationschef fragt man sich, wie es geschehen konnte, dass die Militärbeobachter in Zivil die letzten Vorposten der ukrainischen Streitkräfte hinter sich lassen und in von Aufständischen beherrschtes Gebiet gelangen konnten. Immerhin war ihr Bus begleitet von Polizeifahrzeugen und ukrainischen Militärs. Nach allem, was sich derzeit ohne Kontakt zu den Inhaftierten herausfinden lässt, wurde der Bus vier Kilometer vor Slawjansk, dem Zentrum der Aufständischen, gestoppt. Das lässt zumindest den Verdacht zu, dass die von Kiew eingeladenen Beobachter Opfer einer geheimen Operation geworden sind, dass sie jemand quasi als Geisel angeboten hat. Wer? Nutznießer der Entführer von angeblichen OSZE-Mitarbeitern sind jene, die Russlands Unrechtssystem an den internationalen Pranger stellen und die Sanktionspolitik verschärfen wollen.

Wie rasch man in der Öffentlichkeit gefährliche Debatten auslösen kann, zeigen massive Forderungen nach dem Einsatz der KSK-Elite. Schließlich seien die Spezialkräfte für die Geiselbefreiung ausgebildet. Glücklicherweise hat die Bundeswehr solchen abenteuerlichen Gedanken ein klares »Nein« entgegengesetzt.

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