nd-aktuell.de / 30.04.2014 / Politik / Seite 5

Nazi darf Nazi geheißen werden

Leipziger LINKE vom Vorwurf der Beleidigung eines NPD-Manns freigesprochen

Hendrik Lasch, Leipzig
Eine Stadträtin der LINKEN in Leipzig ist am Amtsgericht von dem Vorwurf freigesprochen worden, einen Kommunalpolitiker der NPD mit der Bezeichnung »Nazi« beleidigt zu haben.

Die Wogen schlugen hoch am 20. Juni 2012 im Stadtrat von Leipzig. In einer Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen hatte NPD-Stadtrat Klaus Ufer eine derartige Hetztirade vom Stapel gelassen, dass ihm Oberbürgermeister Burkhard Jung das Wort entzog. Empört war nicht nur der SPD-Mann, sondern auch Margitta Hollick, Stadträtin der LINKEN. Als sie im Foyer vor dem Ratssaal einen Bürger im Gespräch mit Ufers damaligem Parteifreund Rudi Gerhardt sah, konnte sie sich deshalb eine Anmerkung nicht verkneifen. »Wissen Sie«, fragte sie den ihr Unbekannten, »dass Sie sich mit einem Nazi unterhalten?«

22 Monate später saß Hollick wegen des im Vorbeigehen gesprochenen Satzes in Saal 218 des Leipziger Amtsgerichts - als Angeklagte. Gerhardt hatte Anzeige wegen Beleidigung gestellt; die Staatsanwaltschaft folgte dem und erließ einen Strafbefehl über 1600 Euro. Hollick verweigerte die Zahlung, weshalb der Fall zur Verhandlung kam. In der Anklage wurde der Vorwurf bekräftigt: »Sie wussten«, sagte Staatsanwalt Christoph Kurczynski vor dicht gefüllten Zuschauerreihen, »dass die Äußerung ehrverletzend war.«

Die Feststellung war freilich schnell relativiert. Der schon von Kurt Tucholski 1923 gebrauchte Begriff Nazi sei eine »gängige Abkürzung« für Anhänger des Nationalsozialismus, zu denen auch NPD-Politiker gehören, argumentierte Hollicks Verteidiger Steffen Soult - und stieß sowohl beim Staatsanwalt als auch bei Richterin Elke Kniehase auf Zustimmung: »Das kann als wahr unterstellt werden«, sagte diese und wies zwei Beweisanträge Soults zurück. Er hatte ein Gutachten zum Gebrauch des Begriffs gefordert und zudem Zeugen laden wollen, darunter Jung. Der Rathauschef hatte kürzlich die persönliche Entgegennahme einer Petition gegen den in Leipzig geplanten Bau einer Moschee mit dem Hinweis abgelehnt, von Nazis nehme er solche Unterlagen nicht an.

Dass die Verhandlung nicht schon zu diesem Zeitpunkt endete, war dem Umstand geschuldet, dass die Staatsanwaltschaft zwischen Äußerungen im politischen und im privaten Umfeld unterscheidet. Kurczynski erklärte, dass man einen Nationalsozialisten »einen Nazi nennen darf und muss«, aber auch ein NPD-Mann habe das Recht, »ein Gespräch zu führen, mit wem er will«. Am Ende plädierte er selbst auf Freispruch. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Vorfall als Fortsetzung der Ratsdebatte vor der Tür interpretiert wurde: Gerhardt und sein Gesprächspartner waren im Foyer nicht allein; die Äußerung Hollicks war auch für andere hörbar und fiel nur Minuten nach dem Eklat um die Rede Ufers. Diese nannte selbst Gerhardt »unerträglich«. Der 62-Jährige erklärte, er sei im Juli 2012 aus der NPD ausgetreten. Zu der skandalösen Rede ging er aber in der Ratssitzung nicht auf Distanz.

Das Gericht folgte der Einschätzung, wonach es sich um »kein absolutes Vier-Augen-Gespräch« gehandelt habe und die Äußerung so gerechtfertigt gewesen sei. Soult hätte sich ein weitergehendes Urteil gewünscht: Gegenüber Mitgliedern einer Partei, die »permanent selbst beleidigt«, stelle die Bezeichnung Nazi seiner Auffassung nach einen »zulässigen Akt der Zivilcourage« dar - ganz gleich, ob in der öffentlichen Debatte oder unter vier Augen.