Ein bisschen wie im Krieg

Verarbeitung der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima als Comic-Strip

  • Susanne Steffen
  • Lesedauer: 3 Min.

Der japanische Manga-Zeichner Kazuto Tatsuta hat als Hilfsarbeiter im zerstörten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi gearbeitet. Seine Erfahrungen bringt er zu Papier und veröffentlicht sie. Solche Einblicke in die Arbeiten am Atomkraftwerk sind sonst selten.

Die Bilder sind extrem detailgenau. Zum Beispiel, wenn die Ablösung eines Arbeiters im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi geschildert wird, weil dessen Strahlenwerte zu hoch sind. Der 49-jährige Manga-Künstler Kazuto Tatsuta beschreibt seine tägliche Routine, als er von Juni bis Dezember 2012 erst im Arbeiter-Ruheraum und später in einem der hochgradig verstrahlten Reaktorgebäude gearbeitet hat. Seine Geschichten seien weitestgehend dokumentarisch, gelobt Tatsuta, nur die Namen seien fiktiv. Auch seinen wahren Namen gibt Tatsuta nicht preis - aus Angst, dass er dann nie wieder eine Stelle in Fukushima bekommt.

Die meisten der rund 800 Unternehmen, die auf dem Reaktorgelände tätig sind, verbieten ihren Angestellten unter Androhung der sofortigen Kündigung, mit Medienvertretern zu sprechen. Augenzeugenberichte aus der Reaktorruine sind daher selten und meist nur sehr bruchstückhaft. Die Presse wird nur zu strikt durchorganisierten Touren eingeladen. Tatsutas Manga-Serie ist eines der bislang lebendigsten und detailreichsten Dokumente über den Alltag in »ichi-efu«, beziehungsweise »1 F«, wie das Werk bei den Arbeitern heißt.

Tatsutas Leser erfahren, dass die äußeren Lagen der Schutzanzüge nach jedem Gebrauch entsorgt werden, die Gesichtsschutzmasken aber nur gereinigt und dann wieder in den großen Karton zurückgelegt werden, aus dem sich die Arbeiter vor Schichtbeginn bedienen. »Manche müffeln etwas«, erklärt Tatsuta, jedoch ohne sich zu beschweren. Die meisten Arbeiter schwitzen so sehr, dass ihre Masken und Handschuhe am Schichtende völlig durchnässt sind.

Toiletten gibt es übrigens nur im Ruheraum der erdbebensicheren Schaltzentrale. Toilettengänge während der Arbeit sind aus Sicherheitsgründen verboten. Der Raucherraum in der Schaltzentrale sei bereits völlig vergilbt und die Luft sei dort schlechter als in den Reaktorgebäuden, erklärt Manga-Protagonist Tatsuta. In Tatsutas Geschichten lachen die Arbeiter viel und lamentieren eher selten. »Es ist ein bisschen so, als würde man in den Krieg ziehen«, lässt Tatsuta einen seiner Protagonisten die Atmosphäre im Atomkraftwerk beschreiben.

»Ich wollte beim Wiederaufbau helfen«, beantwortet Autor Tatsuta Reporterfragen nach dem Grund, warum er in der Reaktorruine angeheuert hat. Als Mangakünstler habe er bis dahin keinen Erfolg gehabt und sich meist mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten. Für »ichi-efu« bekam Tatsuta jetzt sogar einen Preis für den besten neuen Mangakünstler, und gerade sind seine gesammelten Fukushima-Mangas erstmals als Buch erschienen.

Anfangs habe er Angst um seine Gesundheit gehabt, gibt Tatsuta zu. Nachdem er sich ausführlich über die Gefahren der Strahlung und den Unfall informiert habe, sei er jedoch zu dem Schluss gekommen, dass die Reaktorkatastrophe längst nicht so apokalyptisch sei, wie manche Medien suggerierten. »Ich hatte nie das Gefühl, dass ich in physischer Gefahr war«, sagt Tatsuta.

Auf keinen Fall wolle er mit seinen Geschichten ein Plädoyer pro oder contra Atomkraft abgeben, betont Tatsuta. Es gehe ihm ausschließlich darum, seine eigene »Wahrheit« über den Alltag in Fukushima dazustellen. Tatsutas größte Sorge ist, dass es in Fukushima bald nicht mehr genügend Fachkräfte gibt. »Ungelernte wie mich, wird es bei angemessener Bezahlung immer genug geben. Jetzt müssen sich die Verantwortlichen darum kümmern, dass ihnen die erfahrenen Fachkräfte nicht ausgehen«, warnte Tatsuta kürzlich in der japanischen Ausgabe der »Huffington Post«.

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