nd-aktuell.de / 13.05.2014 / Politik / Seite 7

Kampf um Haus und Familie

In Griechenland macht vor der Europawahl eine neue Partei auf sich aufmerksam

Filippos Sacharis, Athen
Griechenland steht am 25. Mai neben der Europa- auch die Kommunalwahl bevor. Zwei Wahlen, die doppelten Anlass für Diskussionen um Kandidaten und antretende Parteien bieten.

Immer mehr Journalisten mischen in Griechenland bei den anstehenden Wahlen aktiv mit. Der bekannteste unter ihnen ist wohl Stavros Theodorakis, der mit seiner neugegründeten Partei »Potami« (»Der Fluss«) bei Umfragen schon auf dem dritten Platz geführt wird, hinter der oppositionellen Linkspartei SYRIZA und der regierenden konservativen Nea Dimokratia (ND).

Potamis Funktionäre und Mitglieder sollen Personen sein, »die mit der Politik bis heute nichts zu tun hatten«, so der Gründer. Theodorakis selbst kandidiert bei der Europawahl aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse nicht. Ob seine Partei bei nationalen Parlamentswahlen antritt, werde er nach dem 25. Mai entscheiden. Bis dahin lasse er seine Arbeit als Journalist ruhen. Bekannt wurde er durch seine erfolgreiche Fernsehsendung im »Mega Channel«.

Beobachter glauben, dass die plötzliche Gründung seiner Partei mit »politischen Interessen« eng verbunden sei, und die großzügige Unterstützung durch die Medien mit obskuren Transaktionen zu tun habe. Theodorakis selbst spricht von »einer Bewegung von Bürgern für Bürger« - ohne politische Altlasten und Berufspolitiker.

In Athen hatte sich bereits ein Journalist um das Amt des Bürgermeisters beworben - der erste, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Gregory Vallianatos bekundete damals, die Vorherrschaft der beiden großen Parteien, ND und sozialdemokratischer PASOK, durchbrechen zu wollen. Trotzdem hat er vor einigen Tagen aufgrund der »Zensur der Massenmedien« seine Kandidatur zurückgezogen. Vallianatos’ Ideen sorgen seit Langem für geteilte Meinungen in der griechischen Bevölkerung, die nicht bereit zu sein scheint, manche Stereotype und konformistische Mentalitäten zu überwinden.

Mit Maria Spiraki kandidiert für ND eine weitere Medienvertreterin bei der Europawahl. Sie berichtet seit Jahren für »Mega Channel« über ND. Nun erklärte sie, sich nach einer 23-jährigen journalistischen Karriere in die Politik einmischen zu wollen.

Ist es Zufall, dass so viele griechische Journalisten bei den kommenden Wahlen antreten? Hat es mit schlecht bezahlter Arbeit in Griechenland zu tun, oder ist Journalismus ein Einstieg in eine politische Karriere - unter Berücksichtigung der zuweilen sehr engen Beziehungen zwischen Medienvertreter und Politiker in dem Mittelmeerstaat? Die skandalöse Schließung des staatlichen Rundfunksenders ERT durch Ministerpräsident Antonis Samaras (ND) im vergangenen Jahr hatte jedenfalls für heftige Proteste gesorgt und viele Journalisten arbeitslos gemacht. Nur ein Bruchteil wurde im Nachfolger NERIT wieder angestellt.

Theodorakis prangert Korruption und Verschwendung in Griechenland an. Das Manifest seiner Partei, das auf alle Probleme eingehe, habe er nicht in der Sprache der Politik, sondern in der der Bürger geschrieben: »Unsere Feinde sind die Populisten, die Nationalisten, die Euroskeptiker. Europa ist unsere Familie und unser Haus«. Sind Journalisten wegen ihres Berufs tatsächlich näher an den Bürgern?

Ganz anderen Fragen muss sich in diesem Wahlkampf die an die Macht strebende linke SYRIZA stellen. Die Kandidatur von Sabiha Süleyman sorgte für erhebliche innerparteiliche Kontroversen. Das Linksbündnis hatte die Aufstellung der 38-jährigen Roma unvermittelt zurückgezogen - mit der Begründung, dass man einen noch besseren Kandidaten gefunden habe. Die wirklichen Gründe sind wohl andere. Süleyman hatte mehrmals geäußert, dass Thrakien in Nordostgriechenland, wo eine muslimische Minderheit lebt, eher Krankenhäuser und Schulen als neue Moscheen brauche. Nach einer gemeinsamen Sitzung zwischen der Präfekturkommission und Abgeordneten der Partei in der Region wurde die Entscheidung getroffen, Süleymans Kandidatur zurückzuziehen.

Zuvor hatte es Proteste in mehreren thrakischen Ortsgruppen von SYRIZA und in mazedonischen Gliederungen gegeben. Süleyman selbst sagte, dass es nur vier oder fünf Personen in Thrakien gebe - meist Lokalpolitiker -, die unter dem Einfluss des türkischen Konsulats in der Region stünden und ihre EU-Kandidatur für die Linkspartei untergraben wollten.

SYRIZA ihrerseits machte bekannt, dass die Frage der muslimischen Minderheit auf keinen Fall politischen Zwecken dienen dürfe. Auf die Anschuldigungen über vermeintlichen Druck seitens des türkischen Konsulats erwiderte die Partei, sie würde sich niemals ausländischem Druck beugen. Andere Parteien, die derartige Gerüchte verbreiteten, sollten nicht vergessen, dass sie im Gegensatz zu SYRIZA keinerlei Kandidaten aus der muslimischen Minderheit aufgestellt hätten.

Sabiha Süleyman, für viele in Griechenland eine der aktivsten im Kampf gegen Nationalismus und Rassismus, äußerte dennoch die Vermutung, dass manche »Linke« eine offenbar rassistische Mentalität haben, wenn sie »Abscheu vor ungebildeten Romafrauen« fühlen, die sich in die Politik einmischten. Teile der muslimischen Minderheit und SYRIZA-Politiker seien für ihren Rückzug verantwortlich. Jetzt wolle sie dafür arbeiten, dass Romakinder die griechische Sprache lernen und zur Schule gehen.

Ob SYRIZA unter der parteiinternen Auseinandersetzung zu leiden hat, werden die Wahlergebnisse vom 25. Mai zeigen. Die Umfragen schwankten in den letzten Wochen immer wieder. Syriza könnte demnach zwischen 23 und 30 Prozent erlangen und kämpft in jedem Fall mit ND um den Wahlsieg. Die verbleibenden Sitze im EU-Parlament - Griechenland erhält statt 22 nur noch 21 - werden PASOK, Potami und die Goldene Morgendämmerung unter sich ausmachen.