Rübezahlkrach

London Dirthole Company

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Über den irischen Schriftsteller Flann O’Brien hat der Schriftsteller und Übersetzer Harry Rowohlt einmal einen schönen Satz gesagt: »So hätte Joyce geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre.« Auf die bislang überwiegend in London umtriebige, nun schon seit zwölf Jahren existierende London Dirthole Company übertragen, müsste der Satz ungefähr heißen: So würde sich Rock ’n’ Roll heute anhören, wenn er nicht irgendwann der Zuckerbäckerindustrie zum Opfer gefallen wäre. Oder: So hätte Link Wray geklungen, wenn er zu viel Amphetamine geschluckt und drei verstimmte Rhythmusgitarren gleichzeitig gespielt hätte.

Es gibt guten und schlechten Krach. Die London Dirthole Company, deren Sound, was die Neigung zum Simplizistischen, Rohen, Repetitiven betrifft, gerne mit dem der legendären Monks oder mit der Mittachtziger-Phase von The Fall verglichen wird, macht guten Krach, intensiven Krach, schmutzigen, rotzigen, gemeinen Garagenrock-Krach, der mehr nach Rübezahl und Hotzenplotz klingt als nach Schneewittchen und Aschenbrödel. Krach, wie ihn wegweisende Gitarrenlärmbands wie Pussy Galore einst dargeboten haben, bevor sie bescheuert geworden sind, sozusagen.

Und das Beste ist: Man weiß nie, wie viele Musikerinnen und Musiker einen bei einem Konzert der London Dirthole Company erwarten. Sind es fünf? Neun? Oder doch 13? Sind heute alle vier Schlagzeuger da? Und wer singt bzw. schreit bzw. bellt heute? Womöglich irgendjemand, den sie erst vor ein paar Tagen auf dem Bahnhof aufgelesen und in die Band aufgenommen haben. Kann schon sein. Wäre nicht ungewöhnlich. Personalwechsel finden hier traditionell in derselben Frequenz statt wie Unterwäschewechsel. Man merkt schon: Mit einer Rockband im klassischen Sinn hat man es hier nicht zu tun, eher mit einem kindlich-unbeschwert auf seine Instrumente eindreschenden Kunstkollektiv.

Eine der Protagonistinnen, die Mitbegründerin Kirsten Reynolds, entstammt tatsächlich der Szene der »International Sound Art« und macht auch sonst allerlei Krawall, Lichtinstallationen, Müllskulpturen, Feuerwerk und Gerappel. Was man halt so macht. Der Begriff Kunstkollektiv erweckt jetzt vielleicht wieder fälschlicherweise den Eindruck, hier würde eine spröde, anstrengende Kopfmusik zelebriert, zu der man nur möglichst andächtig herumstehen und würdevoll gucken soll. Das ist aber nicht der Fall.

In der in Fragen des rhythmisierten Gitarrengelärms wie immer kenntnisreichen Fachpublikation »Ox-Fanzine« heißt es beispielsweise, das kürzlich erschienene Album der Dirthole Company gewinne »viel Reiz durch den düsteren, bedrohlichen Grundtenor der Songs und die Unmittelbarkeit, das Überfallkommandohafte, mit dem die Songs in durchschnittlich gerade einmal eineinhalb Minuten an einem vorbeirauschen. Sehr sonderbar, sehr lärmend, sehr anziehend.« Das ist schön gesagt. Heute Abend gibt die Londoner Drecklochgenossenschaft ein Konzert. Man muss sich auf donnerndes Schlagzeug, Schweißgeruch und Verstärkergefiepe einstellen. Auch ist nicht völlig auszuschließen, dass Bier getrunken wird.

The London Dirthole Company, 21.30 Uhr, Monarch, Skalitzer Str. 134, 10 €

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