Schwellenländer in der Energiefalle

Das rasante Wirtschaftswachstum geht mit einer stark gestiegenen Nachfrage nach Kohle einher - die soll möglichst billig zu haben sein

Billige Energie, in riesigen Mengen verfügbar - dies ist ein Baustein des Aufstiegs der Schwellenländer. Doch die Folgen sind fatal.

Die Gruppe der Schwellenländer zeichnet sich vor allem durch eine Gemeinsamkeit aus: starkes Wirtschaftswachstum. Die Industrie produziert immer mehr, die größer werdende Mittelschicht konsumiert deutlich mehr. Der Boom geht immer mit wachsendem Energiehunger einher. In den vergangenen 20 Jahren hat der Primärenergieverbrauch in den meisten Industrieländern stagniert oder ist sogar gesunken. Der gesamte Zuwachs - von 9,4 auf 12,3 Milliarden Tonnen Erdöläquivalenten in den letzten zehn Jahren - geht auf das Konto der Entwicklungs- und vor allem der Schwellenländer. Das Nonplusultra ist längst China. Das Reich der Mitte ist mit einem Anteil von rund 22 Prozent mittlerweile weltgrößter Energieverbraucher. Es verzeichnete auch das größte Nachfragewachstum - vor der Türkei. Und der globale Energieverbrauch nimmt zu. Weltweit prognostiziert die Internationale Energie-Agentur eine Steigerung bis zum Jahr 2030 um 39 Prozent.

Doch woher sollen die gewaltigen Energiemengen kommen? Bislang dominieren die fossilen Quellen Erdöl, Erdgas und Kohle. Daran wird sich auf absehbare Zeit auch nicht viel ändern. Gerade in den aufstrebenden Schwellenländern haben Wind- und Solarenergie eine eher schwache Lobby und kommen aus ihrem Schattendasein nicht hinaus. Dagegen haben einige Staaten ambitionierte Kernkraftprogramme gestartet. Die meisten sind jedoch über das Stadium vager Vorüberlegungen nicht hinausgegangen. Neben technischen und Sicherheitsproblemen sowie der ungelösten Abfallfrage geht es ums Geld: Der Bau eines einzigen Atommeilers verschlingt zweistellige Milliardensummen - entweder müssen die Staaten tief in die Tasche greifen oder sie lassen AKW durch private Investoren finanzieren, die aber auf Dauer hohe Strompreise verlangen werden, wollen sie die Meiler rentabel betreiben.

Beim Stillen ihres Energiehungers setzen die Schwellenländer nach wie vor allem auf Erdgas und Erdöl. Dies führt jedoch zu gefährlichen Abhängigkeiten von außenpolitischen und Marktgegebenheiten. Dies machte sich Anfang dieses Jahres schmerzlich bemerkbar, als die massive Abwertung vieler Schwellenländer-Währungen den dortigen Energieimporteuren Milliardenverluste bescherte - Öl und Gas werden in der US-Währung abgerechnet. Erst massive Leitzinserhöhungen sorgten für etwas Entspannung. Vielerorts stiegen jedoch die kaum noch finanzierbaren Handelsbilanzdefizite. Und die Verbraucher klagen über einen weiteren Anstieg der hohen Inflationsraten.

Gerade die Abhängigkeit von Öl bringt massive Probleme selbst für Produktionsländer wie Brasilien oder Venezuela. Die leicht erschließbaren Quellen sind versiegen allmählich. Deshalb muss man zunehmend auf die Tiefseeförderung ausweichen - dies ist teuer und gefährlich. Niedrige Ölpreise werden wohl auf Dauer der Vergangenheit angehören.

Schwellenländer wie China oder die Türkei setzen daher kurz- und mittelfristig auf heimische Kohleförderung und -verstromung - eine Technologie, die Kritikern nicht nur als klimaschädlichste, sondern auch als gefährlichste Energiequelle gilt. Schätzungen gehen von mehr als 100 000 Opfern pro Jahr aus - verunglückte Bergarbeiter und Menschen, die als Folge der massiven Luftverschmutzung vorzeitig sterben.

Die Sicherheit wird aber kaum verbessert. Zum einen drängen die Regierungen darauf, dass heimische Energie billig sein müsse. Zum anderen verstärkt der Markt den Preisdruck: Insbesondere Steinkohle ist extrem günstig zu haben, seit die USA zunehmend selbst Öl und Gas mittels der Fracking-Technologie fördern und ihre Steinkohle stattdessen exportieren. Der niedrige Weltmarktpreis ist ein Grund für die vielerorts katastrophalen sozialen und ökologischen Standards beim Kohleabbau. Dies gilt vor allem für Kolumbien, eines der Hauptlieferländer deutscher Steinkohlekraftwerke. In Europa galten bis zu dem Unglück in der Türkei die ukrainischen Gruben als die gefährlichsten.

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