Archäologen gehen in die Luft

Konferenz in Berlin beschäftigt sich mit dem Einsatz unbemannter Fluggeräte in der Altertumsforschung

  • Hans-Arthur Marsiske
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn Altertumsforscher von Drachen erzählen, denkt der unbefangene Zuhörer wahrscheinlich zunächst an alte Geschichten von sagenhaften Fabelwesen. Doch der Archäologe Axel Posluschny meint damit etwas Gegenwärtiges und ganz Reales. Ein Drachen ist für ihn ein Werkzeug, das bei Ausgrabungen zum Einsatz kommen kann. »Leider werden Flugdrachen häufig eher als Spielzeug wahrgenommen«, sagt der Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main. »Dabei sind sie ein leicht zu bedienendes und kostengünstiges Hilfsmittel, um sich einen Überblick über das Grabungsgelände zu verschaffen.« Eine wissenschaftliche Tagung kommende Woche in Berlin könnte das Ansehen dieser und anderer kleiner Fluggeräte verbessern.

Ronny Weßling, Joris Coolen und Natascha Mehler von der Universität Wien haben zum Beispiel die Stätten einstiger Häfen aus der Wikingerzeit und dem Mittelalter in Norwegen und auf den Färöer Inseln mithilfe von Drachen aus der Luft fotografiert. An beiden Orten hatten sie mit schwierigen Windverhältnissen zu kämpfen, denen sie mit verschiedenen Drachentypen und -größen begegneten. Außerdem, so berichten sie, sei es notwendig gewesen, das Betriebssystem der Kamera zu manipulieren, um die Belichtungszeiten den rasch wechselnden Verhältnissen automatisch anzupassen. Doch das Resultat lohnte die Mühe: Mehr als 50 Hektar Gelände konnten auf diese Weise fotografiert und zu dreidimensionalen Modellen mit Auflösungen von wenigen Zentimetern aufbereitet werden. In diesen Modellen wiederum konnten die Forscher Strukturen möglicher Hafenmauern und die Überreste eines Bootshauses identifizieren.

Der Blick von oben war für archäologische Forschungen schon immer sehr wichtig. Zum einen geben sich viele Strukturen durch Farbänderungen im Boden zu erkennen. Zum anderen zählen sorgfältige Dokumentation und exakt vermessene Karten spätestens seit 1904, als Sir William Matthew Flinders Petrie die Grundregeln wissenschaftlicher Ausgrabungen formulierte, zu den unerlässlichen Erfordernissen archäologischer Forschung. Doch die Vogelperspektive ist nicht leicht zu realisieren. Flugzeuge oder Hubschrauber sind teuer, das Erklettern von Bäumen oder Strommasten ist lediglich eine Notlösung, die immer nur einen schrägen Blick auf die Ausgrabungen ermöglicht.

Unbemannte Fluggeräte und Digitalkameras, die in den letzten Jahren immer erschwinglicher geworden sind, bieten neue Möglichkeiten. »Mit unserer Konferenz wollen wir ein Bewusstsein für diese Möglichkeiten schaffen«, sagt Posluschny. »Es gibt innerhalb der Archäologie ja zwei Lager: Die einen sind sehr gut über die neuen Technologien informiert und mit ihrer Handhabung vertraut, die anderen vollkommen von dieser Entwicklung abgekoppelt.« Archäologie ist eben doch überwiegend eine Geisteswissenschaft, die von naturwissenschaftlichen Methoden und digitaler Datenverarbeitung gleichwohl sehr profitieren kann. Eine Brücke zwischen den verschiedenen Denkweisen zu schlagen, ist nicht einfach.

Und es gibt noch andere Schwierigkeiten. Während die Handhabung eines Drachens in akzeptabler Zeit zu erlernen ist, setzt die Steuerung von Quadrokoptern oder Flugzeugen mehr Kenntnisse und Erfahrungen voraus. Hans-Peter Thamm, Geowissenschaftler und Spezialist für Fernerkundung an der Freien Universität Berlin, hat zehn Jahre mit unbemannten Fluggeräten gearbeitet und dabei gelernt, dass zwischen den Versprechungen der Anbieter solcher Systeme und den vielfältigen Problemen, die sich im Forschungsalltag ergeben, eine große Lücke klafft. »Ein erfolgreicher Einsatz unbemannter Fluggeräte in der Archäologie erfordert oft sehr viel mehr Zeit, Fachkenntnisse und - Überraschung! - sehr viel mehr Geld als erwartet«, mahnt Thamm.

Doch der Aufwand kann sich lohnen, insbesondere wenn neben optischen Kameras noch andere Sensoren zum Einsatz kommen. Insbesondere Laserscanner haben sich als nützlich erwiesen. Die Technologie funktioniert wie Radar, arbeitet aber mit Lichtimpulsen und erlaubt sehr genaue Entfernungsmessungen. Damit lassen sich selbst in Wäldern aus der Luft Bodenformen erkennen. »Im Rahmen einer Übung mit Studenten haben wir in Hessen ein Gebiet von sieben mal zehn Kilometern auf diese Weise untersucht und auf Anhieb fünf bislang unbekannte Grabhügel gefunden«, sagt Posluschny. Im Schwarzwald seien auf diese Weise Tausende von Meilerplätzen neu entdeckt worden. Die einstigen Produktionsstätten von Holzkohle zeichnen sich in den Höhendaten als sehr kleine Terrassen von wenigen Metern Ausdehnung ab. Auf einfachen Luftbildern wären sie nicht zu erkennen.

Michael Merkel, Sammlungsleiter am Archäologischen Museum Hamburg, schätzt, dass seine Arbeit mittlerweile zu 70 Prozent von digitalen Technologien geprägt sei. »In der Bodendenkmalpflege entsteht ein ganz neues Berufsbild«, sagt er. »Wir wollen wissen, was sich im Boden befindet und es dort erhalten, nicht unbedingt alles gleich ausgraben.« Und wenn aufgrund bevorstehender Baumaßnahmen unter Zeitdruck Notgrabungen durchgeführt werden müssen, helfen moderne Sensoren, Zeit und Kosten zu sparen.

Ein Problem ist allerdings, dass der Einsatz unbemannter Fluggeräte bislang in den verschiedenen Staaten und Bundesländern noch sehr unterschiedlich geregelt ist. So ist es zwar technologisch kein Problem, die Flugzeuge automatisch vorgegebene Routen fliegen zu lassen. Das muss aber jeweils im Einzelfall genehmigt werden. »Eine unerlässliche Bedingung für den automatischen Flug ist die Fähigkeit der Fluggeräte, bei Problemen selbstständig eine kontrollierte Notlandung durchzuführen«, sagt Posluschny.

Womit wieder die Drachen ins Spiel kommen: Die sind nämlich bislang genehmigungsfrei und brauchen ansonsten lediglich etwas Wind, um aufsteigen zu können. Bei einer Flugshow im Berliner Thielpark wollen die Konferenzteilnehmer am kommenden Samstag von 10 bis 12 Uhr öffentlich demonstrieren, wie die vermeintlichen Kinderspielzeuge gegen motorisierte Hubschrauber und Flugzeuge abschneiden. Dabei geht es weniger um spektakuläre Flugmanöver als um die Erhebung von Daten. Besucher der Veranstaltung sollen daher auch die Möglichkeit haben, den Wissenschaftlern bei der Aufbereitung der Luftbilder über die Schulter zu schauen.

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