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Frau am Hals

Finnisches Dorf Sonkajärvi lädt seit über 20 Jahren zur Huckepack-WM ein

  • Lesedauer: 4 Min.
Männer sollen ihre Frauen bekanntlich auf Händen tragen. Zu einer durchgeknallten WM, die besagtes Postulat ernst nimmt und dafür Elemente des uralten Kinderspiels Huckepack wiederentdeckt hat, lädt seit über 20 Jahren die 4800-Seelen-Gemeinde Sonkajärvi ein, rund 480 Kilometer nördlich von Helsinki. Jaana Haavikko (36), die mit behinderten Menschen arbeitet, und Joni Juntunen, ihr gleichaltriger Partner, Heizungs- und Belüftungsingenieur, sind schon dreizehn Mal dabei gewesen. Im Gespräch erfährt unser Autor René Gralla wie und warum.

nd: Die Weltspiele im Frauentragen sehen ziemlich bizarr aus. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dort zu starten?

Joni Juntunen: Sonkajärvi ist meine Heimatstadt. Und meine Mutter gehörte zum Team, das dort die ersten Wettbewerbe organisiert hat.

Im Geist der alten Römer

Viele Terrakottastatuetten aus römischer Zeit zeigen junge Mädchen, die Huckepack reiten. »Ephedrismos« (sinngemäß übersetzt: »in der Reitposition auf jemandem sitzen«) kannte in der Antike verschiedene Versionen. Da wurde zum einen aus reinem Spaß an der Freud' gespielt. Oder es war zum anderen die Sonderprüfung nach einem verlorenen anderen Wettkampf.

Dann nämlich musste der Loser den Gewinner eine bestimmte Strecke weit tragen, manchmal sogar mit zugehaltenen Augen. Der Ephedrismos bei der finnischen WM im Frauentragen nähert sich der klassischen Urform an, kombiniert mit zwei zusätzlichen Hindernisprüfungen: ein 15 Meter langes und 120 Zentimeter tiefes Wasserbecken sowie eine beinahe brusthohe Hürde, die überklettert oder in kühnem Sprung genommen werden muss. gra

Jaana Haavikko: Eine Freundin rief mich an und fragte, ob ich Lust darauf hätte. Ich fand den Vorschlag verrückt genug und sagte zu. Seitdem ist das jeden Sommer der Höhepunkt in meinem Freizeitprogramm.

Es sieht nicht sehr elegant aus, wie die Frauen von den Männern über den Parcours geschleppt werden, auf dem Rücken mit dem Kopf nach unten, und die Beine umklammern den Hals des Partners. Ist das nicht etwas entwürdigend?

Jaana: Überhaupt nicht. Ich finde es ritterlich, dass die Männer uns Frauen zur Ziellinie tragen. Ohne uns fallen zu lassen und selber zu rennen, obwohl das viel leichter wäre! (lacht)

Joni: Die Technik, die Sie jetzt bei der WM sehen, ist das Ergebnis einer längeren Evolution. Und wurde zuerst von den Esten entwickelt.

Müsste das Event denn nicht die Feministinnen auf den Plan rufen? Weil die Frauen dabei wie Objekte behandelt werden, indem sie quasi willenlos von den Männern geschultert werden?

Jaana: Einspruch, wir Frauen sind nicht willenlos! Über den Ausgang des Rennens entscheidet nahtloses Teamwork zwischen Frau und Mann.

Joni: Und in Wahrheit kommt Jaana die Schlüsselrolle zu. Jaana ist der Reiter, und ich bin das Pferd.

Wie funktioniert das praktisch?

Joni: Mit ihren Schenkeln drückt Jaana auf meinen Hals und dirigiert so mein Tempo...

Jaana: ... und die Balance. Nehmen Sie das Wasserbecken: Sobald Joni das verlässt, verlagere ich mein Gewicht nach vorne, damit er nicht rücklings fällt.

Kriegen Sie keine Kopfschmerzen, so mit dem Kopf nach unten?

Jaana: Manchmal. Abgesehen davon bin ich das inzwischen ja gewohnt (lacht).

Joni, ging Ihnen schon manchmal durch den Kopf: »Oh mein Gott, sie ist heute schwerer als ich dachte!«

Joni: Jaanas Gewicht spüre ich überhaupt nicht. Die Zuschauer lassen mich fliegen.

Das Wasserbecken scheint eine ziemliche Herausforderung zu sein. Zumal die Köpfe der Frauen während der Passage sekundenlang unter Wasser bleiben. Jaana, beunruhigt Sie das nicht?

Jaana: Ich hole vorher einfach tief Luft.

Joni: Jaana hilft sich selber, sie stützt ihre Hände auf meinem Rücken ab. Außerdem sitzt ein Taucher im Pool, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Richtig gefährlich wirkt die Hürde, die Sie, Joni, nehmen müssen.

Joni: Natürlich muss ich vorsichtig sein. Aber ich sehe kein großes Risiko, außerdem trägt Jaana einen Helm.

Jaana: Ich gebe zu, dass ich dort tatsächlich ein wenig Angst habe. Weil ich nie weiß, wie Joni das Hindernis nimmt - mal springt, mal klettert er.

Joni, wie fühlen Sie sich auf den letzten der exakt 253,3 Meter bis zum Finish? Ein bisschen auf den Spuren des legendären Räuber Herkko Rosvo-Rinkainen, der im 19. Jahrhundert viele Frauen raubte und die WM inspiriert hat?

Joni: Das ist doch nur eine Anekdote. Ich denke keine Sekunde daran.

Jaana: Und ich fühle mich nicht als Beute!

Und Ihre Emotionen nach dem Überqueren der Ziellinie?

Joni: Großartig!

Werden Sie bei der diesjährigen WM wieder antreten?

Jaana & Joni: Aber ja!

Ihr Vorbereitungsprogramm?

Joni: Ich trainiere Sprints und laufe oft Berge hinauf.

Jaana: Ich mache viel Stretching.

Was bekommt der Weltmeister?

Joni: Ruhm und Ehre. Und das Gewicht der Lady in Bier. Joni ist 1,61 Meter groß und wiegt 52 Kilogramm.

Weitere Infos: WM im Frauentragen am 4./5.Juli 2014 in Sonkajärvi/Finnland. www.eukonkanto.fi

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