Kaum Sternstunden

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.
Jan Freitag schaut in die kommende Fernsehwoche.
Jan Freitag schaut in die kommende Fernsehwoche.

Seien wir ehrlich: Es war eine Showmastermeisterleistung, wie Jörg Pilawa das »Quizduell« vor einer Woche davor bewahrte, zum Desaster zu werden. Mit schlagfertiger Selbstironie (»Willkommen beim Fernsehen der 70er und 80er Jahre«) zeigte der Moderator, dass er selbst eine Casting-Show vor der Peinlichkeit retten könnte. Obwohl: Wenn Pro7 ab Donnerstag in »Keep Your Light Shining« Popstars castet, kann daraus keiner gute Unterhaltung machen. Und die Idee, dem Nachwuchs nur 30 Sekunden auf der Bühne zu geben, ist auch nicht kreativer, als das Dauerthema Cultural Clash zu verulken wie der Sat1-Schwank »Nachbarn süß-sauer« am Dienstag.

Komplizierte Sujets ohne Peinlichkeit bleiben eben öffentlich-rechtliches Terrain. Heute etwa Arte mit Milan Peschel als unheilbar Krebskranker, auf den Andreas Dresens Cannes-Film »Halt auf freier Strecke« voll draufhält, ohne ihm zu nahe zu rücken. Oder parallel dazu im ZDF-Film »Die Toten von Hameln«, wo Bjarne Mädel als moderner Rattenfänger seine Tauglichkeit für ernste Rollen belegt - selbst wenn sie mystisch sind. Wie die 3. Staffel der »Misfits«, aber das dürfte kaum wer mitkriegen - läuft die tolle Serie doch nach Mitternacht auf ZDFneo. Ein Sendeplatz, auf den Vernunftbegabte die Denunziationssause »Aktenzeichen XY« wünschen. Stattdessen hortet sie zur ZDF-Primetime gewohnt Quote; zumal es Mittwoch mal wieder ums »Bild«-Ding vermisster Kinder geht. Da könnte man fast zu »Sternstunde ihres Lebens« zeitgleich im Ersten raten, wo Iris Berben als reale Grundgesetzgestalterin Elisabeth Selbert mal wieder eine starke Frau im Männerumfeld spielt.

Ob es irgendwann Biopics über den Europapolitiker Martin Schulz gibt, Titel-Vorschlag: »Er hatte einen Traum«? Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie sehr der linke Spitzenkandidat gerade im Fokus steht. Dass ihn die ARD am Dienstagabend live in die »Wahlarena« gegen seinen rechten Gegner Jean-Claude Juncker schickt, wäre einst undenkbar gewesen. Ebenso wie andere Formate zur Europawahl, die sich bis Sonntagnacht durch alle relevanten Sender fressen. Von Rainer Maria Jilgs Erkundung bayerischer Europaskepsis (Montag, 20.15 Uhr, BR) bis hin zur Doku am Dienstag »Riskante Reise«, in der die ZDFzeit (mit viel Empathie für Grenzschützer) Flüchtlingsströme in die Festung Europa verfolgt.

Überhaupt ist diese Woche so kontinental, dass selbst Nationalerbauung weicht. Der »Tatort« ist bloß eine Wiederholung, wenngleich aus Hessen, während Ulrike Folkerts ins ZDF fremdgeht, wo sie in der Schnulze »Ein Sommer in Amsterdam« ermittelt. Dann doch lieber das Promispecial vom »Quizduell« am Donnerstag - sofern die Technik mitspielt. Oder Robin Williams in seiner ersten Serie seit Mork vom Ork namens »The Crazy Ones« (Mittwoch, 21.15 Uhr, Pro7). Oder das Champions-League-Finale, dem RTL am Samstag die 763. Wiederholung Mario Barths im Olympiastadion entgegensetzt, was noch älter wirkt als der »Tipp des Tages« von 1961, Freitag bei Disney: »101 Dalmatiner«.

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