nd-aktuell.de / 20.05.2014 / Kommentare / Seite 14

Der unheimliche Mr. Stardust

»David Bowie is« - zurück in Berlin, diesmal als Thema einer Ausstellung

Marlene Göring

David Robert Jones ist David Bowie. Aber wer ist das? Ist er seine Funktion, als Songwriter, Maler, Schauspieler? Oder seine Figuren, Ziggy Stardust oder der »Thin White Duke«, der dünne, weiße Fürst? Ein sensibler Einzelgänger oder Großmeister der Selbstinszenierung?

»David Bowie is« heißt die Ausstellung, die ab diesem Dienstag im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist. Eine Antwort auf die im Titel immanent gestellte Frage liefert sie nicht - sondern viele. Ihre Exponate umkreisen Bowie und die Einflüsse, denen er sich aussetzte, ausgesetzt war: der Künstler als Katalysator, der seine Zeit durchsiebt und sie produzierend mit Geist füllt. Die Ausstellung als Filter, der Wirklichkeiten anbietet - aber keine ganz zulässt.

Die Kuratoren, Geoffrey Marsh und Victoria Broackes vom Londoner Victoria and Albert Museum, führen die Besucher durch Räume voll mit Kostümen, Album-Covern, Textskizzen und Zeichnungen aus den Jahren 1967 bis 2013, in denen Bowie 27 Studioalben und über 150 Livealben, Singles und Musikvideos schuf. Dazwischen immer wieder große, graue Türen - nur durch einen kleinen Spion entdeckt man, was dahinter liegt: undeutliche Visionen davon, was mit Davie Jones geschehen wäre, wäre er nicht David Bowie geworden. Und hätte der nicht mit »Major Tom« seinen Durchbruch geschafft - 1969, im Jahr der ersten Bilder vom Mond und ein Jahr nach Stanley Kubricks »Space Odyssey«. Tony Visconti, der Bowies zweites Album »Space Oddity« produzierte, weigerte sich, den Song in die Hände zu nehmen - er sei vom damaligen Weltraum-Wahn inspiriert und zu kommerziell.

Erich Heckels Gemälde »Roquairol«, Marshall McLuhans Medientheorie, »Vogue«-Cover, Filmstills der 1930er - Bowie saugte alles auf und verbaute es in seiner Kunstsprache aus Ton und Bild. Das vollzieht die Ausstellung akribisch nach, das sagt auch Bowie selbst. Sogar ins Ohr des Besuchers: per Audioguide flüstert, spricht und singt der Künstler, je nachdem, welchem Exponat man sich gerade nähert. Seine Worte überlagern seine Bilder, seine Musik die handschriftlichen Textschnipsel.

Schon 1969 ahnt der junge Bowie somnambul sein Schicksal voraus: Im Pantomimenfilm »The Mask« zeigt er weißgesichtig, wie jemand überall Erfolg hat, sobald er seine Maske aufsetzt - bis er sie schließlich nicht mehr abnehmen kann. Auch Bowie bleibt immer die Chimäre, ist außer Künstlerfigur auch Goblin-König, Andy Warhol und Pontius Pilatus im Film oder »Elefantenmann« am Theater. Seine einzige Konstante ist die Wandelbarkeit. Unheimlich zu sehen im größten, kaum beleuchteten Raum der Ausstellung: unzählige Mannequins in Tier-, Soldaten-, Königs- und Clownskostümen aus fast vier Jahrzehnten, manche auf Bühnen erhöht, manche hinter halbdurchsichtigen Vorhängen verborgen. Dazwischen Porträts, vervielfältigt und überlebensgroß. Sie alle sind Bowie. Aber ist das ein Mensch?

Für Persönliches hat die Ausstellung nicht viel Platz - intim ist sie nur in Reliquien: ein Taschentusch mit verwischtem Lippenstift, eine leere Zigarettenschachtel, ein Haustürschlüssel. Bowies Mitmenschen kommen in kleinen Videos zwar zu Wort. Aber sie verraten mehr von sich selbst als über ihn, wenn über den Weg Gelaufene die Begegnung mit Bowie als »einzigartig« und »bedeutsam« beschreiben.

Dabei muss sehr, sehr viel passiert sein in all den Jahren, erzählt die Chronologie der Fotos und Videoclips: 1968 der hagere blonde Schuljunge mit schüchternem Lächeln. Nur vier Jahre später: eine Diva mit pinkem Bürstenschnitt, die Haut so dünn über dem Gesicht gespannt, dass man den Schädel ahnt. Jahrzehnte später: ein gereifter Mann, die Stimme im Gespräch nicht mehr leise-zerbrechlich, sondern voll und klar. »Ich habe versucht, ich selbst zu sein. Als das nicht funktionierte, versuchte ich, jemand anderes zu sein. Das war viel einfacher.« Immer glaubte Bowie daran, dass schauspielern ohne spielen möglich ist. Die Maske und ihr Träger sind eins geworden.

Martin-Gropius-Bau, bis 10. August