Wettbewerb nur noch als Ideologie

Gibt es eine »neue« Fusionswelle in der internationalen Wirtschaft? Heinz-J. Bontrup ist skeptisch

  • Lesedauer: 3 Min.

Wieder einmal erregen ein paar große Fusionen Aufmerksamkeit. So übernimmt der deutsche Bayer-Konzern für gut zehn Milliarden Euro vom US-Pharmariesen Merck & Co. die Sparte der rezeptfreien Arzneien. Und der US-amerikanische Siemens-Rivale General Electric will sich den französischen Alstom-Konzern einverleiben. Hier wünscht sich die Politik in Paris lieber Siemens als Käufer. Was für eine tolle Alternative! Dennoch kann man nicht von einer »neuen« Fusionswelle sprechen. Obwohl deflatorische Tendenzen in der Wirtschaft die Unternehmer immer besonders reizen, durch Unternehmensaufkäufe Kapazitäten aus dem Markt zu nehmen, Synergien zu heben und durch Verknappungen den Preis - die schärfste Waffe der Unternehmer, wie schon Adam Smith konstatierte - in die Höhe zu treiben.

Dabei soll Wettbewerb, das systemkonstitutive Element einer marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnung, dies gerade verhindern. Die Konkurrenz würde Unternehmen entmachten und zu ständiger Anstrengung zum Wohle der Verbraucher zwingen. Bei lehrbuchmäßiger vollkommener Konkurrenz müssten sich die Anbieter dem Marktpreis stellen und sich mit ihren Produktionsmengen und Kosten anpassen. Sie seien aufgrund ihrer geringen Größe ohnmächtig den Nachfragern ausgeliefert, die über eine Konsumentensouveränität verfügten. So weit die marktwirtschaftlich naive Ideologie.

Die wirtschaftliche Realität ist eine völlig andere. Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zeigt, dass mittlerweile nur 147 Konzerne mit ihrem Beteiligungsnetzwerk und ihrer daraus folgenden gigantischen Machtansammlung die Welt beherrschen. Allein von 1995 bis 2011 hat es weltweit Unternehmensfusionen im Wert von 35 858 Milliarden US-Dollar gegeben und nach der Einführung der Fusionskontrolle ins deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen im Jahr 1973 haben allein hierzulande über 45 000 Unternehmen fusioniert.

Neben Fusionen sind gleichzeitig Insolvenzen an der Tagesordnung. Seit der Wiedervereinigung kam es in Deutschland zu fast 640 000 Unternehmenspleiten. Wie stellte schon Karl Marx fest: »Je ein Kapitalist schlägt viele tot.« Auch dadurch konzentriert und vermachtet sich die Wirtschaft immer mehr. Darüber können dann auch nicht Existenzgründungen kleinster Betriebe hinwegtäuschen. Und sollte tatsächlich einmal ein Kleiner die Großen ärgern, so droht ihm schnell der Aufkauf. Konkurrenz mag man eben nicht.

Die wichtigen Märkte, nicht nur in Deutschland, haben längst die Marktform eines engen Oligopols erreicht. Hier existiert kein wirklicher Wettbewerb mehr, sondern purer Machtmissbrauch zur eigenen Bereicherung. Wie das geht, zeigt unter anderem der Bericht des Bundeskartellamts über die Preispolitik der Mineralölkonzerne. Der Trieb des Einzelkapitals nach immer mehr Profit und Kapitalakkumulation zerstört so immanent die idealtypischen Grundlagen einer angeblich auf Wettbewerb getrimmten Wirtschaftsordnung. Einmal erreichte wirtschaftliche Macht wird dann auch im unternehmerischen Innenverhältnis gegen die Beschäftigten eingesetzt, weil jede Form der wirtschaftlichen Konzentration nachhaltig Arbeitsplätze kostet. Und auch der Staat wird schließlich von den marktmächtigen Konzernen angegriffen. Hier verlangen sie von der Politik beste öffentliche Infrastrukturen, Subventionen, niedrigste Gewinnsteuern und möglichst völlig deregulierte bzw. liberalisierte Arbeitsmärkte zur ungehinderten Durchsetzung ihres eh schon gegebenen Investitionsmonopols.

Politik gehorcht hier uneingeschränkt, auch bei in Schieflage geratenen Konzernen, nicht nur bei Banken, wenn es um die Großen geht. Die Kleinen interessieren nicht, sie sind eben nicht »too big to fail«. Unter den globalen Weltmarktbedingungen und einem neoliberalen Shareholder-Value-Denken ist die heute herrschende Politik zum Protegé ihrer nationalen »Champions« verkommen. Dies ist eine tiefe Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze - aber keiner klagt sie mehr ein.

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