Shakespeare, Galilei und die Gegenwart

In der Inselgalerie kommentieren acht Künstlerinnen unsere »Schöne Neue Welt«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie gehören zu den Giganten jener Epoche, wurden zufällig im selben Jahr geboren: William Shakespeare und Galileo Galilei, bis heute gefeierter, in seiner Identität hoch umstrittener Dramatiker der eine, tragisch genialer Deuter eines modernen Weltbilds, das der Klerus ihn zu widerrufen zwang, der andere. Als beide im Zenit ihres Wirkens standen, um 1500, endete in Spanien die fruchtbare islamische Ära, hatte Kolumbus Amerika entdeckt, verhängnisvoll für die Ureinwohner, stand in Europa die revolutionäre Erfindung des Buchdrucks in Blüte. Eine schöne neue Welt schien für den alten Kontinent anzubrechen, was Shakespeare in »Der Sturm«, seinem letzten Werk, Miranda ausrufen lässt. »Schöne neue Welt« nannte Aldous Huxley über drei Jahrhunderte später seinen Roman um eine beängstigende Zukunftsvision. Den Titel entlieh nun die aktuelle Ausstellung in der Inselgalerie: Acht Künstlerinnen, geboren zwischen 1938 und 1973, kommentieren das Nachwirken jener beiden Giganten. Dass ihre Bildkommentare fernab jeden Jubels ausfallen, steht angesichts unserer aufgestörten Welt außer Zweifel.

Der umfangreichste Beitrag verdankt sich Marianne Schröder. In der Serie »King William und seine Truppe«, kleinen Formaten aus Radierung, Aquarell und Collage, deutet sie Shakespeare so schlüssig wie ironisch als Teil der Personnage seiner Stücke: mit Rothaar, Bärtchen und einer Nackten als Nase. »Titanias tierische Freude« ist der Leu, den sie streichelt; sanftäugig blickt Ophelia, fast karikaturistisch verzerrt Lady Macbeth. In Acryl auf viermal 90 Zentimeter langer Leinwand sieht der Dichter in fantasiereicher Szenenfolge erschrocken all seine finsteren Gestalten aufschimmern. Mit Hintersinn ordnet Sonja Blattner neun winzige Objekte jeweils in einem schwarzen Kasten an, einen Globus für das Globe Theatre, einen Block Messer als unheilvolles Utensil, das Capitol en miniature als Nachlass - in Architektur oder Denkungsart? Auf dem großformatigen »Swan Theatre« schaut der Bühnenaufbau selbst wie ein Monster aus Shakespeares Figurenarsenal aus.

An der Gestalt des Caliban, des gefangenen und ausgebeuteten Eingeborenen auf Prosperos seliger Insel, entzünden sich zwei Künstlerinnen. Rosika Jankó-Glage zeigt ihn eindringlich als Rückansicht in dunklen Acryltönen auf grünem Fond: der ewige Sklave, dessen karger Kleidung Buchbindergaze ihre Transparenz verleiht. Und denkt das Motiv weiter: In einer aufgestellten Schublade vor zwei Papierschiffchen findet der Boatpeople-Flüchtling, der sich eine Träne aus dem Auge wischt, jene Geborgenheit, die ihm die Realität verweigert. Caliban nennt sich auch die Band, in der ein armverschränkter Tätowierter spielt, in Dunkelgrün ausgeführt, mit Totenkopf auf dem T-Shirt, einem sanftmütigen Kindergesicht darüber. Als Sieb- und Stempeldruck appliziert Anja Mikolajetz »ihren« Caliban in Serie 15 blumig bedruckte Papiertüten auf, als kohleschwarzes Maskengesicht mit Zinnenhaar, Kulleraugen, abstehenden Ohren, Haifischzähnen. Will man die Tüten benutzen, wie das ein Foto zeigt, muss man der kantigen Fratze in ihr gefletschtes Gebiss greifen. Auch dies hinterhältiges Spiel mit Klischees und ihre Entlarvung.

Zu den Arbeiten, die sich mit Galilei beschäftigen, zählen die Siebdrucke von Gisela Kurkhaus-Müller. Einem Viererblock aus Briefmarken ähnlich bringt sie mit Galilei, Kepler, Kopernikus und Bruno große Astronomen zusammen, die gleiche Erkenntnisse erzielt haben; die Sonne als Zentralgestirn überlappt in der Mitte die farbflächigen Skizzen. Elli Graetz feiert den stets geheimnisumwobenen Mond: als neunteilige Variationen-Folge von der Sichel bis zum Vollmond; reizvoll in zwei sechsteiligen Tafeln: als zerklüfteter Prägedruck auf Papier und als geätzte Metallscheiben, die den Nebra-Fund assoziieren. Besticht bei Brigitte Denecke der schicksalbeladene, wie vom Wind zerzauste Titan, als den sie Galilei in Kohle auf den Papprücken eines Kalenders zeichnet, so wartet Doris Kollmann mit zauberischen Installationen auf. »Guter Mond, Du gehst so stille« fixiert wandlang eine Kraterlandschaft, über der an einem Gewirr aus Strichen Rückstände technischer Bearbeitung hängen. Von der Decke herunter schweben davor, als würde sich die Landschaft zum Diorama erweitern, als flirrendes Mobile blaue Deckel aus Plastik, auf der einen Seite filigrane Federzeichnungen, auf der anderen braunstichige Abbildungen aus einem Werk Galileis. Wenn Kritik an einer möglichen Expropriation des Mondes, dann ist das eine ästhetisch überaus atmosphärische.

Bis 31.5., Inselgalerie, Torstr. 207, Mitte, Telefon: (030) 279 18 08, www.inselgalerie-berlin.de

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