Tragödie und Farce

Schernikaus »legende« vom Schokoladenfabrikanten - und die ukrainische Präsidentschaftswahl

  • Erik Baron
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Ukraine wird ein Schokoladenfabrikant Präsident. Nanu, denke ich, das gab’s doch schon einmal!?

Richtig: In Ronald M. Schernikaus »legende«, seinem viel zu frühen Spätwerk, übte der Schokoladenfabrikant anton tattergreis seine Macht auf jener Insel aus, die sich alsbald als das eingemauerte Westberlin erwies. Eine Insel, von der man in alle Himmelsrichtungen gehend nach Osten gelangte, eine Bastion des Spätkapitalismus, die dem Untergang geweiht war. Erste Auflösungserscheinungen machten sich bemerkbar. janfilip geldsack, einer der Protagonisten des Inselkapitalismus, beschloss seine eigene Vernichtung - nicht als Mensch, sondern als Kategorie, da er trotz seines Reichtums permanent unglücklich war. Als Zög- und Liebling von anton tattergreis entzog sich janfilip geldsack der Nachfolge als Schokoladenfabrikant und heiratete stattdessen lydia königin, die stellvertretende Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Insel. Da die Schokoladenfabrik als Hauptarbeitgeber der Insel auch den Osthandel mit dem umliegenden Land in die Gänge gebracht hatte, besaß sie geradezu strategische Bedeutung. Der Weltfrieden wäre in Gefahr, wenn sie schließen müsste! Aber die Inselbevölkerung wähnte sich weiterhin in Sicherheit und aalte sich in der (untergehenden) Sonne des Westens.

Die Götter, die sich Ende der 80er Jahre auf die Erde aufgemacht hatten, nach dem Glück der Menschen zu sehen, waren entsetzt und beschlossen die Machtergreifung: »wir müssen die Menschen zu ihrem glück zwingen.« In einer generalstabsmäßigen Aktion entführten sie anton tattergreis, der mittlerweile zum ersten sozialen Kanzler der Insel avancierte. Aber die Machtergreifung der Götter musste zwangsläufig scheitern: »die befreiung der blöden kann nur das werk der blöden sein.« Es galt, die Massen zu mobilisieren! Mit Hilfe der Großveranstaltung »künstlerfürdenfrieden« sollte dies gelingen. Die Massen jedoch blieben fern und die Götter ratlos.

Da das Land um die Insel herum aus Zahlungsunfähigkeit mittlerweile seine Tätigkeit eingestellt hatte, wurde die Insel von einer tiefen Eiszeit überzogen. Die Kommunistin lydia königin mutierte zu lydia schneekönigin und beschloss die Zerstörung der Insel. Sie setzte den Inselbewohnern eine Frist, in der sie sich im Kreisbüro der Partei einfinden könnten, bevor das Ende der Insel eingeläutet wird. Und tatsächlich trafen nach und nach die Inselmenschen ein und erlebten gemeinsam den Untergang.

Voll historischem Optimusmus beendete Ronald M. Schernikau seine »legende« im Jahr 1991: »der kommunismus wird siegen werden, bevor sich die Götter vor den Menschen verneigten und unverrichteter Dinge wieder entschwebten.«

Geschichte, so heißt es bei Marx, finde immer zweimal statt, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Wie verhält es sich eigentlich mit fiktionaler Geschichte? Oder mit Blick auf die Schokoladenfabrikanten aller Länder, insbesondere in der Ukraine? Anders gefragt: Was ist hier die Tragödie, was die Farce?

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