Gefangen im Zeitalter der Extreme

Die Gulag-Erinnerungen des kommunistischen Architekten Rudolf Hamburger

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Lebenslauf, wie ihn nur das 20. Jahrhundert hervorbringen konnte: Der deutsche Architekt und Kommunist Rudolf Hamburger verlor zehn Jahre seines Lebens im sowjetischen Gulag. Danach arbeitete er bis zu seinem Tod als Architekt in der DDR. Seine Erinnerungen an den Gulag sind nun - rund dreißig Jahre nach seinem Tod - erschienen. Dank seines Sohnes Maik Hamburger.

1903 in Landeshut in Schlesien geboren, findet er nach dem Studium in Deutschland aufgrund der Weltwirtschaftskrise keine Anstellung. Durch Glück erhält er das Angebot der Stadt Shanghai. Hamburger überlegt nicht lange und siedelt mit seiner Frau Ursula, geborene Kuczynski (bekannt als Ruth Werner), nach China über. Dort entwirft er u. a. das »Victoria Nurses Home«, das als ein Pionierbau der Moderne in China gilt.

Durch seine Frau (Schwester des späteren Nestors der DDR-Wirtschaftswissenschaften Jürgen Kuczynski), die bereits vor der Hochzeit 1929 eine überzeugte Kommunistin ist, wird auch Rudolf Hamburger Kommunist. Er möchte im Zeitalter der Klassenauseinandersetzung nicht abseits stehen und bewirbt sich 1936 aktiv für eine Agententätigkeit beim Armeeaufklärungsdienst GRU der Sowjetunion. Zunächst soll er nur die Familienidylle als treu sorgender Ehemann wahren, damit seine Frau ungestört ihrer konspirativen Tätigkeit nachgehen kann. Doch bei den Eheleuten knatscht es ganz gewaltig und nach der Scheidung 1939 geht Hamburger allein nach Shanghai zurück, um dort weiter für den GRU zu arbeiten. Über Umwege wird er in Teheran als Agent eingesetzt und dort, nach der US-amerikanischen und britischen Besetzung, infolge einer Denunziation aufgegriffen.

Nach der Freilassung besteht für ihn kein Zweifel, wohin er nun ziehen wird. Als Kommunist und Jude kann er nicht zurück nach Deutschland, wo die Nazis an der Macht sind. Sein deutscher Pass ist ohnehin abgelaufen. Hamburger entscheidet sich für das Mutterland der Revolution und flieht in die Sowjetunion. »Für ihre Ziele und den Aufbau einer sozialistischen, einer besseren Welt der Zukunft führten wir den Kampf«, liest man in seinen Erinnerungen. Doch kaum drei Tage in der UdSSR wird er verhaftet und verhört. Der Vorwurf: Er sei ein US-amerikanischer Spion. Wochenlang gehen die Verhöre, Hamburger versteht die Welt nicht mehr. »Gescheitert das hohe Ziel, für ein besseres Leben zu kämpfen, grausam zerstört die Ideale«, heißt es in seinem Bericht.

Ohne Prozess wird der deutsche Kommunist schließlich zu fünf Jahren Haft verurteilt. »Ein Papierchen - ein Papierchen, nicht viel größer als eine Postkarte. Da steht mein Urteil drauf. Unwiderruflich. Kein Richter, keine Verteidigung … Erschüttert halte ich das Papier in der Hand. § 58. SOE, 5 Jahre Lagerhaft.« Im Gefängnis erfährt Hamburger, dass SOE für »Sozialgefährliches Element« steht. Es beginnt seine Odyssee durch den sowjetischen Gulag.

1943 kommt Hamburger nach Saratow im Wolgagebiet, trifft Menschen, die wie er willkürlich Opfer des stalinistischen Terrors geworden sind, unschuldig verhaftet und verurteilt. Fast alle ereilte das gleiche Strafmaß - zehn Jahre Lager.

Hamburger registriert, dass in der Lagerhierarchie die »Politischen« auf der untersten Stufe rangieren. Die nach dem Paragrafen 58 Abgeurteilten werden wie Aussätzige behandelt. Bei einem erneuten Prozess 1945 wird Hamburgers Haftzeit um weitere zehn Jahre verlängert. Bis 1952 durchleidet er diverse Lager. Erst an seinem Lebensende wird Hamburger seine Erinnerungen niederschreiben. Bis zu seinem Tod 1980 hat er nur mit wenigen Menschen über die schreckliche Zeit gesprochen.

Hamburgers Bericht erinnert in vielen Passagen an Kafkas »Prozess«. Der sich Erinnernde gibt Einblicke in menschliche Abgründe, Willkür und Schikanen, berichtet aber auch von Liebe und Solidarität unter den Häftlingen. Sein Report ist um Objektivität und Sachlichkeit bemüht. Selbst über Häftlinge, die ihn denunzierten, bricht Hamburger nicht den Stab. Kaum zu glauben, aber sein Erinnerungen klingen optimistisch aus.

Nach seiner Entlassung lebte Hamburger zunächst in einem kleinen Dorf in der Nähe von Rostow am Don: »Es ist noch harte Nachkriegszeit. Wir essen Kohlsuppe und Schwarzbrot, aber wir feiern auch Feste … So ist das Leben wie im Märchen. Das Gewöhnliche wird zum Wunderbaren.«

In der DDR war er u. a. maßgeblich an der Planung der Industriestadt Hoyerswerda beteiligt. Erst 1990 wurde Rudolf Hamburger in Moskau posthum rehabilitiert.

Rudolf Hamburger: Zehn Jahre Lager. Als deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag. Ein Bericht. Hg. v. Maik Hamburger. Siedler Verlag, Berlin. 240 S., geb., 19,99 €.

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