nd-aktuell.de / 25.06.2014 / Kultur / Seite 12

Stauffenberg war eingeweiht

VVN-BdA erinnerte an ein konspiratives Treffen vor 70 Jahren und den vergessenen Arbeiterwiderstand in Berlin

Karlen Vesper

Das erste Foto zeigt ein lachendes, freundliches Gesicht. Auf dem zweiten ist Anton Saefkow kaum wiederzuerkennen: Augenringe, eingefallene Wangen, unendlicher Schmerz spricht aus den Augen. Spuren grausamer Folter. Auch das Haftfoto von Franz Jacob offenbart eine geschundene Seele. Von den Verhören sichtlich gezeichnet, körperlich geschwächt, versuchen Adolf Reichwein und Julius Leber tapfer, vor dem »Volksgerichtshof« Haltung zu bewahren. Fotografien, die berühren.

Saefkow, Jacob und Reichwein wurden am 4. Juli 1944 in Berlin verhaftet. Verraten von Ernst Rambow. Der Kommunist, in Weimarer Zeit für den Geheimapparat der KPD tätig, war von der Gestapo umgedreht, als Spitzel rekrutiert worden. Als Rambow an jenem Tag am U-Bahnhof Adolf-Hitler-Platz (heute Theodor-Heuß-Platz) Saefkow und Jacob mit Handschlag begrüßte, war dies das Zeichen für die Häscher. Die Gestapo schlug zu. In der DDR-Historiographie wurde der Verrat schamvoll verschwiegen. Der Verräter, der unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus die Chuzpe hatte, Anerkennung als Verfolgter zu beantragen, entging der Strafe nicht. Er wurde im Juli 1945 von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und im November des Jahres exekutiert. Das indes erfuhren seinerzeit noch nicht einmal überlebende Mitglieder der Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation.

Über diesen reichsweit agierenden Widerstandskreis berichteten Bärbel Schindler-Saefkow und Annette Neumann, Tochter von Erwin Freyer (an dem das Todesurteil glücklicherweise nicht mehr vollstreckt wurde), am Montagabend im Haus der Demokratie. Die beiden Historikerinnen gaben Einblicke in ihre Forschungen und Erinnerungen. Bärbel Schindler-Saefkow erzählte, was sie von Mitstreitern ihres Vaters und ihrer Mutter Änne wusste: Anton Saefkow war zutiefst geschockt über den Verrat des Freundes und bemühte sich, aus der Haft die Mitstreiter draußen zu warnen. Zu spät. Über 280 Mitglieder der etwa 500 Antifaschisten zählenden Organisation - vornehmlich Arbeiter, aber auch Ärzte, Lehrer, Künstler, Ingenieure - wurden in den folgenden Tagen und Wochen verhaftet. 101 Frauen und Männer starben unter dem Fallbeil oder am Strang im Zuchthaus Brandenburg und in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee.

Bärbel Schindler-Saefkow und Annette Neumann boten den Auftakt zu einer Diskussionsveranstaltung, mit der die VVN-BdA an den vergessenen Arbeiterwiderstand erinnern wollte - anlässlich des 70. Jahrestages eines Treffens, das der Geschichtsprofessor Peter Brandt »ein historisches« und der Linkspolitiker Klaus Lederer »ein singuläres Ereignis« nannte, »das nicht hoch genug bewertet werden kann«. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, dämpfte die Euphorie seiner Vorredner mit der Bemerkung, bei der konspirativen Zusammenkunft am 22. Juni 1944 zwischen den Kommunisten Saefkow und Jacob mit den Sozialdemokraten Reichwein und Leber habe es sich um »ein erstes Sondierungsgespräch nach Jahren des Schweigens« zwischen beiden Arbeiterparteien gehandelt: »Man wollte sich beschnuppern.« Stefan Heinz von der FU Berlin wiederum war die Differenzierung wichtig: Die kommunistische wie die sozialdemokratische Bewegung war sehr heterogen; gewiss, die Sozialfaschismusthese der Kommunisten und die Tolerierungspolitik der Sozialdemokraten gegenüber den Notverordnungskabinetten zu Ende der Weimarer Republik wirkten lange fort, ebenso Feind-, aber auch Freundschaften aus der Novemberrevolution. »In Preußen war die Spaltung tiefer als in Süddeutschland und im Saarland, wo Kommunisten und Sozialdemokraten frühzeitig zu gemeinsame Aktionen gegen die Hitlerdiktatur fanden.«

Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN-BdA und Moderator der Runde, betonte, dass es beim ersten Treffen in der Praxis des Arztes Rudolf Schmid in der Köpenicker Straße 76 weniger um gemeinsames Handeln zum Sturz Hitlers als vielmehr um die Nachkriegsstrategie ging. Vereinbart wurde ein zweites Gespräch am 4. Juli, dessen Inhalt nicht überliefert ist. Man wisse lediglich, so Bärbel Schindler-Saefkow, dass bei jenem Treffen in der Ratzeburger Allee 5, an dem Leber nicht teilnahm, Saefkow, Jacob und Reichwein drei Bier tranken, wofür sie sich bei ihrer »Quartiermeisterin« Lena Pechel mit einem in deren Wohnung hinterlassenen Zettel pflichtbewusst bedankten.

Beide Treffen, darin waren sich die Diskutanten in der Greifswalder Straße einig, gehören untrennbar zur Geschichte des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944. Carlo Mierendorff habe, so Tuchel, bereits 1943 im Kreisauer Kreis für eine Kontaktaufnahme zu den Kommunisten plädiert, jedoch damals unter den bürgerlichen und aristokratischen Umsturzwilligen noch keine Mehrheit gefunden. Dazu bedurfte es erst der Billigung durch Stauffenberg. Die eingeweihten Kommunisten und Sozialdemokraten wollten dem Militärputsch ein ziviles Antlitz geben, ergänzte Coppi.

Unisono beklagten die Diskutanten, dass beim alljährlichen, »rituellen« (Coppi) und »pathosgeschwängerten« (Lederer) Gedenken am 20. Juli der Kontakt der Verschwörer zum Arbeiterwiderstand ausgeblendet wird. Wie generell Arbeiterwiderstand im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr präsent ist. Und gänzlich vergessen wäre, gäbe es nicht ehrenamtliche Initiativen wie die Verlegung von Stolpersteinen für Ermordete oder die Wanderausstellung »Weg mit Hitler, Schluss mit dem Krieg!«. Dank einiger, vom Zeitgeist unbeirrt forschender Wissenschaftler liegen Publikationen vor. Aus der institutionellen Forschung jedoch ist der Arbeiterwiderstand seit 1990 völlig verbannt, zusammen mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, bemerkte Brandt, der 1973 zu Antifaschismus und Arbeiterbewegung promovierte. Das Publikum dankte explizit Tuchel, der ungeachtet der verbal-aggressiven Attacken auch gegen »seine« Gedenkstätte in der Stauffenbergstraße Anfang der 1990er Jahre am Konzept der Würdigung des Widerstandes in dessen ganzen Breite und Vielfalt festhielt. In der kommenden Woche werden übrigens Tuchel und sein Team eine neue Dauerausstellung präsentieren. Man darf gespannt sein, was die zur Eröffnung geladene Kanzlerin über den deutschen Widerstand gegen Faschismus und Krieg zu sagen weiß.

Die von Kindern der Widerständler, ausländischen Widerstandsforschern und historisch Interessierten trotz Fußball-WM stark frequentierte Veranstaltung schloss mit Überlegungen, was gegen Rassismus und Antisemitismus heute zu tun sei und wie Jugendlichen die Geschichte des Kampfes gegen die Nazibarbarei vermittelt werden könne. Ziemlich düsteren Urteilen über deren Wissen und Bewusstsein hielt Carola Tischler entgegen, dass das neue Zentralabitur in Berlin im Fach Geschichte den Schwerpunkt auf Judenverfolgung und Widerstand im »Dritten Reich« setze. Was freilich nicht alle im Saal beruhigte. Und wenngleich alle den Vorschlag von Sabine Reichwein, Tochter von Adolf Reichwein, befürworteten, sich für einen nationalen Gedenktag des Widerstandes einzusetzen, so sahen doch die meisten die Chance hierfür im gegenwärtigen Deutschland eher skeptisch.