NATO-Streit um den Treueschwur

Allianz sucht vor Hintergrund der Ukraine-Krise neue Strategie / USA fordern mehr Rüstung

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Russland und die Ukraine beschäftigten die NATO-Außenminister auf ihrer Brüssler Tagung über akute Krisenreaktionen hinaus - es geht um das künftige Gesicht des Nordatlantik-Paktes.

Noch wissen die Strategen im NATO-Hauptquartier nicht so richtig, was sie aus dieser Krise machen sollen. Zum einen, so Beobachter, hätten die Entwicklung in der Ukraine und Russlands Vorgehen die Allianz auf dem falschen Fuß erwischt. Zum anderen bietet sich mit der Wiedergeburt des Erzfeindes aus kalten Kriegszeiten eine unverhoffte Legitimationsvorlage für das größte Militärbündnis der Welt. Nicht nur, dass die Außenminister jetzt ihren Beschluss bekräftigt haben, die zivile und militärische Kooperation mit Moskau auszusetzen. Man müsse sich auch langfristig rüsten, um Russlands neuer neue Art der Kriegführung, so Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, Paroli bieten zu können. Die NATO sieht die bestehende Sicherheitsarchitektur in Europa nicht etwa durch das eigene Vorrücken Richtung Osten verschoben, sondern durch Moskaus Politik im Ukraine-Konflikt.

So debattiert die NATO im Vorfeld ihres Gipfels im September vor allem über drei Punkte: die strategische Neuausrichtung der Allianz, die damit verbundene militärische Aufrüstung sowie die nächste Phase ihrer territorialen Erweiterung. Das Bündnis hat bereits die Luftraumüberwachung über dem Baltikum und ihre Marinemanöver in der Ostsee verstärkt. Zudem will man ein Hauptquartier für Einsatzplanung in Szczecin verstärken und die Reaktionsfähigkeit der Schnellen Eingreiftruppe (NRF) erhöhen.

Eine dauerhafte Stationierung von Bodentruppen in den östlichen Mitgliedstaaten, wie sie etwa von Warschau gefordert wird, ist dagegen noch nicht beschlossen. Stattdessen soll es neben ausgeweiteter Aufklärung durch Flugzeuge und Schiffe künftig erst einmal längere und größere Manöver sowie regelmäßig multinationale Trainingsmaßnahmen geben. Bei den Deutschen stößt eine permanente Präsenz westlichen Militärs auf breite Ablehnung. 74 Prozent der Befragten lehnten laut einer aktuellen »Forsa«-Umfrage eine Stationierung von NATO-Einheiten in Polen und den baltischen Ländern ab.

Der Gipfel in Wales soll sich auch mit den Beitrittswünschen von Montenegro, Mazedonien und Georgien befassen. Wobei man im Bündnis sichtbar davor zurückschreckt, dass viele Jahre von Washington protegierte Georgien allzu schnell aufzunehmen. Hier hemmt vor allem der Konflikt um die Richtung Russland abgedrifteten Gebiete Südossetien und Abchasien. Die Zusammenarbeit mit der früheren Sowjetrepublik solle aber gestärkt werden, versicherte Rasmussen. Tbilissi wünscht sich zumindest einen Membership Action Plan (MAP). Dass dieser bisher noch nicht angeboten wurde, lag vor allem am Widerstand Deutschlands und Frankreichs. Aber auch Montenegro, bereits MAP-Mitglied, muss sich weiter gedulden.

Die Ukraine steht als Mitglied ohnehin noch nicht zur Debatte. Allerdings will man einen Treuhandfonds einrichten, um etwa die Kommando- und Kommunikationsstruktur der dortigen Armee zu stärken. Der Fonds soll laut Angaben aus Brüssel ein Volumen von rund zwölf Millionen Euro haben. Man werde Kiew weiter dabei unterstützen, »eine starke Armee aufzubauen und den Sicherheitssektor zu reformieren«, so Rasmussen. Interessant dürfte auch die Entwicklung in Helsinki sein. Der neue konservative Regierungschef Alexander Stubb setzt sich für eine stärkere Integration in die NATO ein. So war auffallend, dass an einem großen Militärmanöver im Baltikum mit 4700 Soldaten in den vergangenen zwei Wochen nicht nur NATO-Staaten, sondern auch Finnland beteiligt war.

Noch größer als in Sachen Neuaufnahmen ist das Streitpotenzial in der Allianz, wenn es um die Verteidigungsetas geht. Washington drängt stärker denn je darauf, dass die europäischen Partner ihre aus USA- Sicht mangelhaften militärischen Anstrengungen verstärken. Noch zeichnet die Supermacht für 75 Prozent aller Rüstungsausgaben der NATO-Staaten. Die Obama-Regierung fordert ein möglichst verbindliches Versprechen der Verbündeten, mehr Geld für die Streitkräfte auszugeben.

Alle Mitgliedstaaten sollen - wie schon 1997 beschlossen - jeweils zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufwenden. Derzeit sind es nur vier: die USA (4,4 Prozent), Großbritannien (2,4), Griechenland (2,4) und Estland (2,3), dessen Streitkräfte allerdings über keinen Panzer und nur über Fracht- und Übungsflugzeuge verfügen. Die deutsche Quote liegt bei 1,3 Prozent. Der neue euro-atlantische Treueschwur, den man auf dem NATO-Gipfel verabschieden will, soll deshalb auch eine Aufrüstungsverpflichtung enthalten.

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