nd-aktuell.de / 26.06.2014 / Kultur

Aus der bayerischen Provinz in den Bhagwam

Marcus H. Rosenmüller über seinen neuen Film »Beste Chance«

Väter auf der Suche nach ihren Töchtern. Töchter, die zu sich selber suchen. Regisseur von Heimatfilmen, wie »Sommer in Orange«, begleitet seine Protagonisten aus dem tiefen Bayern in das weit entfernte Indien. Katharina Dockhorn hat den Regisseur Marc H. Rosenmüller.

Mit »Beste Zeit« begann Markus H. Rosenmüller 2007 seine Trilogie über eine Jugend in der bayerischen Provinz. 2008 folgte der zweite Teil »Beste Gegend«. Der dritte Teil »Beste Chance« führt Rosenmüller wieder in seine Heimat und nach Indien. In Pune drehte er bereits seinen Hochschulabschlussfilm »Hotel Deepa«, den Bagwam-Kult in Deutschland thematisierte er 2011 in »Sommer in Orange«. In »Beste Chance« verschlägt es die vom Studium frustrierte Kati (Anna Maria Sturm) erst in ihr Heimatdorf und dann an den Ganges, wo sie ihre alte Freundin Jo (Rosalie Thomass) sucht. Aus Sorge um die Mädchen folgen ihnen die Väter.

Die ersten beiden Teile kamen innerhalb eines Jahres heraus, nun sind mehr als fünf Jahre vergangen. War die Pause vor Beginn des Projekts geplant?
Ja, wir wollten die Figuren reifen lassen und die Änderungen im Aussehen der Schauspieler nutzen. Anna Maria Sturm hat in den ersten Teilen noch ein eher kindliches Gesicht. Jetzt ist sie zu einer jungen, schönen Frau erblüht, deren Erfahrungen sich auf dem Gesicht wiederspiegeln.

Ist die Entwicklung der Schauspieler mit ins Buch eingeflossen?
Natürlich habe ich deren Entwicklung beobachtet. Das Grundgerüst der Geschichte stand für Autorin Karin Michalke und mich schon ein Jahr nach der Premiere des zweiten Teils. Wir wussten, in welche Richtung es geht und haben gemeinsam mit der Produzentin über die Jahre am Stoff gefeilt. Es erwies sich auch als viel spannender, wenn sich die Figuren aus den Augen verlieren und sich erst nach so vielen Jahren wieder über den Weg laufen. Nach einem Jahr wären die Entfremdung und die Unterschiede in den Lebensentwürfen wesentlich geringer gewesen.

Vor allem hätten Sie wahrscheinlich nicht so gut erzählen können, dass die Jugendlichen, die im Dorf geblieben sind, langsam das Leben ihrer Eltern kopieren, was sie zuvor strikt abgelehnt haben?
Den einen verschlägt es irgendwohin, der andere gerät in diese Schiene. Das will ich nicht werten. Solch ein Wiedersehen von Jugendfreunden und der Abgleich von Biografien führt oft zur Frage, wie steht es um die erträumte Freiheit und wie stark wurden wir von der Gesellschaft, der Umgebung und den Eltern geprägt. In diesem Kontext bedeutet beste Chance, den richtigen Moment zu erkennen, an dem man sich fragen muss, mag ich mein Leben oder will ich gestellte Weichen nochmals justieren.

Auffällig ist der Einsatz des Telefons in den drei Filmen. Im ersten Film taucht kein Handy auf, jetzt ist diese Technik und das Telefonieren mit Indien ein Stilmittel, um die Handlung voranzutreiben?
Der erste Teil entspricht meiner Erfahrung Anfang der 1990er. Damals begann der Siegeszug der Handys, für uns war das viel zu teuer. Noch im Jahre 2000 war es für mich ein phänomenales Erlebnis, wenn ich von einem Münchner Marktplatz mit jemand aus Bayern telefonierte. Deshalb habe ich eine kleine, ironische Szene mit Zweifeln eingebaut, ob sich die Technik durchsetzt. Und heute nutzt sie jeder.

Was zog Sie wieder nach Indien?
Für Indien sprach der enorme Kontrast zu Deutschland. Die Filme beginnen mit einer überbehüteten Kati, die im Paradies lebt. Sie wächst auf dem Land auf, hat tolerante Eltern, die ihr alle Freiheiten lassen, sie macht Abitur und zieht in eine WG, in der pausenlos über Politik geredet wird. Sie schleppt einen Rucksack mit Büchern mit sich rum, das war bei mir auch so. Ich fühlte mich damals wahnsinnig klug. Bis ich merkte, dass ich gar nicht klug bin, weil mir jede Lebenserfahrung abging. Dieser Ballast musste runter gerissen werden, damit man mit Nichts dasteht. Und dann braucht es den Mut auf sein Leben zu schauen und Entscheidungen zu treffen.

Warum kommen die jungen Frauen in Indien gut zurecht, während Väter bei der Suche baden gehen?
Sie müssen eine gespiegelte Erfahrung machen. Wenn Kati über die Begegnung mit dem indischen Kind lernt, auf eigenen Füßen zu stehen, können die Eltern ihr nicht helfen. Nach dieser Abnabelung können Eltern das Universum der Kinder nicht mehr betreten. Daher müssen sie dort scheitern.

Zeichnen Sie nicht ein sehr einseitiges Indien-Bild, wenn alle dort beklaut werden?
Ich habe den Eindruck durch hilfreiche Figuren abgemildert. Den Rikschafahrer oder die Männer auf dem Polizeipräsidium, obwohl ich mit indischen Polizisten andere Erfahrungen gesammelt habe. Bei dem minderjährigen Mädchen habe ich versucht, sie nicht zu verurteilen, sondern die Ursachen des Klauens zu beleuchten. Während der Zugfahrt sagt die Kati zu ihr, wenn du lernst, musst du später nicht klauen. Ihre Antwort habe ich nicht übersetzt, obwohl die Aussage richtig ist: Ich klaue so lange, bis ich mir die Schule leisten kann. Das soziale Gefälle und die unglaubliche Armut in Indien sind für uns unvorstellbar. Geld spielt eine unheilvolle Rolle. Das Mädchen wird ja alleine nach Dehli zum Betteln geschickt und kann erst zur Familie zurückkehren, wenn sie genug Geld beisammen hat.

Würden Sie die Geschichte der Freundinnen gerne weiterschreiben?
Es wäre spannend, den Weg der beiden weiter zu verfolgen und eine einmalige Gelegenheit. So wie es Francois Truffaut mit seinem fünfteiligen autobiografischen »Antoine-Doniel-Zyklus« konnte, der 1958 mit »Sie küssten und sie schlugen ihn« begann und 1978 mit »Liebe auf der Flucht« beendete. Doch dazu gehört das Glück, eine neue Geschichte zu finden sowie Redakteure und Förderer von ihr zu begeistern. Letztlich kann ich nicht alleine entscheiden, ob es weiter geht. Sonst würde ich sagen, wir machen auf alle Fälle weiter.

Sie haben in den vergangenen Jahren einen Film nach dem anderen gedreht. Wollen Sie das Tempo drosseln?
Regisseur ist kein Beruf, sondern Sein. Ich sehe das Filmen nicht als Arbeit. Sondern als Glück, Geschichten erzählen zu können, die mich bewegen und auf meinen Erfahrungen beruhen. Daher kann ich mein Arbeitstempo nicht runter schrauben. Außerdem weiß ich nicht, wie lange es noch so geht. Die Förderer können jederzeit ein Stoppschild setzen.

Mit »Wer länger stirbt, ist früher tot« haben Sie eine Diskussion um die Renaissance des Heimatfilms ausgelöst. Hat sich das Verhältnis der Deutschen zu diesem Genre entspannt?
Auf alle Fälle ist das Verhältnis entspannter geworden, weil die Filme mehr als kitschige Liebesgeschichten im Förster- und Jägermilieu in der unberührten Natur erzählen. Diesen Filmen tut man jedoch Unrecht, wenn man sie nicht im Kontext ihres Entstehens betrachtet. Sie drückten die große Sehnsucht nach Harmonie und einer heilen Welt nach den schrecklichen Ereignissen des 2. Weltkriegs aus. Die modernen Heimatfilme stellen sich dem Leben dagegen wie es ist. In der Trilogie bediene ich den Begriff Heimat allerdings nur am Rande. Sie ist nicht mein Hauptmotiv und die Geschichten haben etwas Globaleres.