Die Lizenz ist vorerst wertlos

Den Handballern des HSV Hamburg fehlen noch vier Millionen Euro bis zum rettenden Ufer

  • Andreas Frank, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Die überraschende Lizenzerteilung für den finanziell angeschlagenen HSV Hamburg sorgt in der Handballszene für Unverständnis. Zumal der Klub binnen sechs Tagen eine Millionensumme aufbringen muss.

Die erste Entspannungszigarette nach dem Sieg des HSV Hamburg vor dem Schiedsgericht der Handball-Bundesliga (HBL) rauchte Holger Liekefett nicht nur wegen der defekten Klimaanlage im Sitzungssaal in einem schweißdurchtränkten Oberhemd. »Wir haben einen wichtigen Step erreicht, aber es geht jetzt mit genauso viel Arbeit weiter«, sagte der Geschäftsführer der HSV-Handballer und zwang sich sichtlich erschöpft zu einem kurzen Lächeln.

Die Erteilung der Erstliga-Lizenz in der dritten und letzten Instanz ließ die finanziell angeschlagenen Hanseaten zumindest einmal kurz durchschnaufen. 730 Kilometer weiter südlich hingegen war man ob der überraschenden juristischen Wende im Fall der Hamburger entsetzt. Bei der HBW Balingen-Weilstetten, die nach dem zweimaligen Lizenzentzug für die Norddeutschen schon wieder erstklassig geplant hatte, steht man nun vor einer äußerst schwierigen Situation.

»Unfassbar, ich bin konsterniert. Das ist ein absoluter Schlag ins Gesicht«, sagte Geschäftsführer Bernd Kasser. In einer eiligst einberufenen Krisensitzung am Donnerstag sollten weitere Schritte erörtert werden: »Wir werden nach allen Richtungen schauen. Man sieht ja - juristisch ist alles möglich.«

In der gleichen Bredouille steckt die HG Saarlouis, die schon für die 2. Liga geplant hatte und nach aktuellem Stand wohl doch weiter in Liga 3 spielen muss. Betroffen ist auch die MT Melsungen, die nicht anstelle des HSV im EHF-Pokal antreten wird. Vorstand Axel Geerken: »Ich bin mir sicher, dass die Vereinsvertreter bei der Ligatagung nächste Woche viele Fragen haben werden.«

Weniger diplomatisch meldeten sich die Fans des Bundesliga-16. zu Wort. »Korruptes Volk«, »Schweinerei«, »Riesensauerei« - Balingens Anhänger fluchten im Netz wie die Kesselflicker. Ihre (im Moment noch enttäuschten) Hoffnungen auf eine weitere Erstligasaison für ihren Verein sind aber gar nicht mal unbegründet, denn der letztjährige Champions-League-Gewinner aus Hamburg hat den rettenden Hafen noch längst nicht erreicht.

Schätzungen zufolge muss der einstige deutsche Meister aus der Hansestadt bis zum 1. Juli (17 Uhr) rund vier Millionen Euro in Form von rechtskräftigen Verträgen oder Bürgschaften aufbringen. »Gravierende Bedingungen und weitere Auflagen«, nannte es das unabhängige dreiköpfige Schiedsgericht der Handball-Bundesliga nach der fast achtstündigen Marathon-Tagung in Minden. Kaum vorstellbar, dass dies ohne den Mäzen und Ex-Präsidenten Andreas Rudolph gelingt, der im Mai durch seinen plötzlichen finanziellen Rückzug die immer noch akuten pekuniären Probleme verursacht hatte.

Liekefett bestätigte dies indirekt, indem er einem deutlichen Bekenntnis zu Trainer Martin Schwalb, der bei Rudolph in Ungnade gefallen ist, unüberhörbar auswich: »Alle Sachen haben ihre Zeit, und falls diese Zeit abgelaufen sein sollte, wird man darüber sprechen müssen.« Zu seiner eigenen Position hingegen, so Liekefett, gebe es »momentan keine Fragestellungen«.

Allerdings gibt es an der Elbe intensive Bestrebungen, den HSV auch ohne Rudolph und seinen Bruder Matthias, aktuell noch Hauptgesellschafter des Klubs, in finanziell ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Kontakte bestehen zum Unternehmer Alexander Otto und auch zu Jürgen Hunke, Ex-Präsident des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV.

Wie auch immer - knapp zwei Wochen nach dem Scheitern der Nationalmannschaft in den beiden WM-Qualifikationsspielen gegen Polen versetzte der juristische Zick-Zack-Kurs der HBL dem Handball erneut eine Imagedelle. »Ich wünsche den Verantwortlichen, dass sie im Sinne des Handballsports klug handeln und die Basis schaffen, dass wir in dieser Sache keine unendliche Geschichte erleben müssen«, sagte DHB-Präsident Bernhard Bauer.

Die HBL versuchte am Tag danach, das Chaos zu ordnen. »Wir halten die Nichterteilung der Lizenz aufgrund der fehlenden Liquidität für richtig«, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme: »Zu dieser Entscheidung stehen wir nach wie vor.« Das Schiedsgericht sei aber »im Kern der Meinung« gewesen, »dass die HBL in den ersten Verfahrensrunden statt einer Lizenzverweigerung den milderen Weg der Lizenzerteilung unter Bedingungen hätte wählen müssen«. Diese Entscheidung sei »von uns zu akzeptieren«.

Vorhaltungen vieler Handballfans, »große« Vereine würden bei juristischen Auseinandersetzungen bevorzugt, trat die HBL in ihrer Mitteilung so entgegen: »Alle 38 Klubs unserer Ligen haben das Recht, gegen die HBL-Entscheidungen bis zur letzten Instanz vorzugehen.« SID

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