»Der Osten ist Avantgarde«

Anhörung der Linksfraktion: Neue Bundesländer müssen sich auf ihre Stärken besinnen

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Bestehende Strukturen und Chancen Ostdeutschlands besser nutzen - das war der Tenor einer Veranstaltung am Montag im Bundestag.

Sparkassen, Gesundheitspolitik, Fußball und Arbeitsmarkt - bereits die Titel der Diskussionsrunden zeigten den breiten Raum, den das Thema Daseinsvorsorge einnimmt. In Ostdeutschland sorgten die Erfahrungen der DDR- und Wendezeit zudem für eine spezifische Struktur öffentlicher Versorgungsleistungen. Deren aktuellen Stand abzubilden hatte sich die Linksfraktion im Bundestag vorgenommen. So sprach am Montag etwa der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, mit dem Fraktionsvorsitzenden der Thüringer LINKEN, Bodo Ramelow, über die Probleme des ostdeutschen Arbeitsmarktes. Tenor der Diskussion: Jammern hilft nicht weiter, der Osten muss sich auf seine Stärken besinnen.

In dieselbe Kerbe schlugen die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), und der Vizechef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch. »Der Osten ist Avantgarde«, so Gleickes Credo. Man müsse die bestehenden Strukturen nutzen und neue Wege finden. Die erste Bilanz des Modellvorhabens »Daseinsvorsorge 2030« falle positiv aus: Sie lobte die verschiedenen Ansätze wie soziales Engagement von Senioren, Kitabringdienste in schwach besiedelten Regionen oder Busse, die gleichzeitig Personen und Güter transportieren. Dass enge rechtliche Regelungen innovative Konzepte erschwerten, bedauerte Gleicke. Sie forderte eine »Grundfinanzierung für die öffentliche Daseinsvorsorge in strukturschwachen Regionen« - unter Einbeziehung der Kommunalfinanzen.

Mit Blick auf die anstehenden Jubiläen sagte Gleicke, ein »differenzierter Blick auf die letzten 25 Jahre« sei nötig. Man dürfe nicht totschweigen, dass es Demütigungen gegeben habe, etwa als Stärken des DDR-Bildungs- und Gesundheitssystems aus politischen Gründen abgeschafft worden seien. Auch Bartsch übte Kritik: Die Treuhand habe die Ost-Wirtschaftsstruktur zerstört. Nun sei eine Förderung von Mittelstand und Kleinunternehmern nötig. »Wir müssen über die Standortvorteile Ost viel mehr reden«, forderte er Selbstbewusstsein ein. Die Emotionalität des Themas war an den zahlreichen Publikumsfragen zu spüren, die Roland Claus, Ostkoordinator der Linksfraktion, mehrmals zwangen, auf die Einhaltung des Zeitplanes zu drängen.

Ostdeutschlandforscher Michael Thomas stellte klar, dass Konzepte nur vor Ort entwickelt werden können. »Wir müssen die Leute nicht da abholen, wo sie sind, sondern dahin gehen, wo sie sind.« Eine ausschließlich wettbewerbsorientierte Herangehensweise lasse sich mit den Erfordernissen peripherer ländlicher Regionen nicht vereinbaren. Nötig sei ein dynamischer Entwicklungsansatz. So sei der Gesundheitsbereich kein isoliertes Problem, sondern eine Frage der Lebensweise.

Michael Ermrich, Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV), sprach anschließend über die Bankenstruktur in den neuen Bundesländern. Der demografische Wandel, der dort früher eingesetzt habe als in Westdeutschland, mache neue Konzepte auch für die Sparkassenfilialen notwendig. Das sieht Ermrich als Vorteil: So könnten Programme entwickelt werden, die später auf andere Regionen übertragbar seien. Der OSV, in dem vier Ost-Bundesländer zusammengeschlossen sind, sei ein »Erfolgsmodell durch Bindung an die Region«.

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