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Boom der freien Wählerlisten

Thüringer LINKE analysiert Situation vor der Landtagswahl im September

  • Hans-Gerd-Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Rot-Rot gilt als eine Option für die Zeit nach der Landtagswahl in Thüringen im September. Doch welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die nächsten Wochen aus der Kommunalwahl am 25. Mai?

Kommunalwahlergebnisse sind auch in Thüringen nicht 1:1 auf Landtagswahlen übertragbar - das zeigt ein Rückblick auf frühere Jahre, als das Wahlvolk binnen weniger Monate mehrmals wählte. Dennoch: Ins Auge sticht, dass bei der Kommunalwahl in Thüringen am 25. Mai erneut fast jeder zweite Wähler den Urnen fern blieb. Bei den Kommunalwahlen vor 20 Jahren lag die Wahlbeteiligung noch bei stolzen 72,3 Prozent, 1990 sogar bei über 90 Prozent.

Zweieinhalb Monate vor der Thüringer Landtagswahl am 14. September analysierte Frank Kuschel, kommunalpolitischer Sprecher der Thüringer Linksfraktion, die entstandene Situation im Freistaat. »Es ist keiner Partei gelungen, in der Kommunalwahl ein übergreifendes landespolitisches Thema in den Mittelpunkt zu rücken«, sagt Kuschel mit Blick auf das anhaltende Mobilisierungstief. »Lokale Themen haben dominiert und die Bedeutung freier Wähler nimmt zu Lasten aller Parteien zu.« In Gera und Suhl, wo die LINKE die stärkste Rathausfraktion bildet, errangen Freie Wählerlisten mit 21,9 beziehungsweise 23,4 Prozent für größere Städte besonders hohe Werte. Landesweit bauten »Sonstige« ihren Anteil von 13,8 auf 16,4 Prozent aus.

Dass zudem Persönlichkeiten eine immer größere Rolle spielen, zeigen Einzelergebnisse in Stadt und Land. So traten vielfach Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte als Listenführer ihrer Parteien an und zogen etliche Persönlichkeitsstimmen auf sich. Das Instrument der Stimmenhäufung gibt das Kommunalwahlrecht her.

Weil kommunale Wahlbeamte als Teil der Exekutive jedoch ein Mandat nicht ausüben können, hatte die LINKE im Freistaat lange solche »Scheinkandidaturen« kritisiert. Im Vorfeld der jüngsten Kommunalwahl änderte die Partei ihre Haltung jedoch aus Gründen der »Waffengleichheit« und stellte ihre vor zwei Jahren direkt gewählten drei Landrätinnen sowie die Eisenacher Oberbürgermeisterin als Spitzenkandidatinnen auf. Damit erzielte sie vor allem in Eisenach und im Ilmkreis spektakuläre Zuwächse mit Werten von 8,4 beziehungsweise 6,8 Prozent. Inzwischen signalisierten auch CDU und SPD, die seit den 1990er Jahren vor Ort den Sogeffekt von »Galionsfiguren« auf ihren Listen nutzten, ihre Bereitschaft, künftig durch Gesetzesänderungen im Land solche »Scheinkandidaturen« auszuschließen. »Links wirkt«, kommentiert Frank Kuschel den Vorgang.

Landesweit errang die CDU bei der Kommunalwahl in Kreisen und kreisfreien Städten 35,0 Prozent. Die Linkspartei konnte sich mit 21,9 Prozent als zweitstärkste Kommunalpartei behaupten, während die SPD auf 18,3 Prozent schrumpfte. Eine nähere Betrachtung zeigt indes, dass Prozentwerte nur einen Teil der Wirklichkeit abbilden. So verweist der Berliner Sozialwissenschaftler Benjamin-Immanuel Hoff in einer aktuellen Analyse für das Kommunalpolitische Forum Thüringen auf einen langfristigen Aderlass an absoluten Wählerstimmen für CDU, LINKE und SPD in den sechs kreisfreien Städten Thüringens.

»Selbst wenn die LINKE in Erfurt, Jena und Eisenach gegenüber der Kommunalwahl 2009 absolut zulegte, verliert die Partei in der Landeshauptstadt gegenüber 1994 mehr als 20 000 Stimmen«, so Hoff. Dieser Effekt sei eine Folge des Bevölkerungsschwunds, zeuge aber auch von einer Mobilisierungsschwäche in »Milieus, die nicht zu den Kernwählerschaften der Linkspartei gehören«. Nur in Eisenach stehe die Partei gegenüber 1994 sowohl prozentual als auch absolut deutlich besser da.

Etliche Menschen, die sich gesellschaftlich ausgegrenzt fühlten, sähen in der Kommune keine Hoffnung mehr und seien deshalb den Wahllokalen fern geblieben. Viele davon seien jedoch auf Landes- und Bundesebene eher zur Wahl zu bewegen, erwartet Kuschel.

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