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Nur bei Erdgas ist die Abhängigkeit groß

Deutschlands und Russlands Wirtschaft sind weniger stark miteinander verflochten als Politiker und Lobbyisten behaupten

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
EU-Diplomaten diskutieren an diesem Montag weiter über Wirtschaftssanktionen gegen Russland, vor denen insbesondere deutsche Unternehmen warnen. Wie schlimm wären die Folgen?

Wirtschaftssanktionen gegenüber Wladimir Putin wirken, bevor sie verhängt werden, klagt das »Handelsblatt«. So gingen die deutschen Ausfuhren nach Russland in diesem Jahr zweistellig zurück. Doch die Bedeutung des Außenhandels mit dem Riesenreich Präsident Putins wird mit solchen Alarmmeldungen überzeichnet. Bei den Exporten gehört Russland mit 3,3 Prozent nicht einmal zu den Top-Ten-Handelspartnern Deutschlands. Noch geringer ist seine Bedeutung für die EU insgesamt.

Im vergangenen Jahr wuchs der deutsche Export nach Russland auf über 36 Milliarden Euro an. Ausgeführt werden vor allem die deutschen Bestseller: Autos, Maschinen und pharmazeutische Produkte. Doch selbst in diesen zentralen Branchen sehen die Forscher des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel keine »substanzielle Abhängigkeit«. Zudem haben deutsche Firmen trotz 143 Millionen potenzieller Konsumenten und einiger Großprojekte insgesamt wenig investiert - unter den vier BRIC-Staaten nimmt Russland hinter China und Brasilien nur den dritten Platz ein.

Anders sieht das Bild bei den Importen aus: Für über 40 Milliarden Euro wurden Waren eingeführt, wobei Erdöl und Gas mit einem Anteil von 84 Prozent dominieren. Deutschland - wie auch die EU insgesamt - bezieht ein Drittel des Erdgases aus Russland, die Hälfte davon fließt durch ukrainische Pipelines. Bei den Öleinfuhren ist es ebenfalls ein Drittel, doch die Abhängigkeit ist weit geringer als beim Gas. Über die Pipeline »Drushba« fließt Erdöl aus Sibirien nach Schwedt, wo es in der Raffinerie PCK, an der der russische Staatskonzern Rosneft beteiligt ist, zu Benzin, Diesel oder Heizöl verarbeitet wird. Doch es gibt nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) in Berlin einen »Plan B«: Sollte die Leitung aus Russland trocken liegen, würde die Raffinerie über Leitungen aus Rostock und Gdansk versorgt werden - in beide Häfen kann Erdöl aus aller Welt per Tanker angeliefert werden.

Unbeweglich ist dagegen das Gasgeschäft. Es fehlt nämlich eine Infrastruktur für per Tanker transportiertes Flüssiggas (LNG), auf das beispielsweise Japan seine Energieversorgung aufbaut. Die beiden anderen wichtigen Lieferanten Deutschlands - die Niederlande und Norwegen - könnten kurzfristig nicht einspringen. Immerhin reichen die Speicherkapazitäten für etwa drei Monate und es gibt alternative Ressourcen im eigenen Land, etwa die erneuerbaren Energien oder Braunkohle. Mittelfristig wäre eine Substitution des russischen Erdgases möglich, zumal der Anteil am Primärenergieverbrauch gerade mal sieben Prozent beträgt.

Unterm Strich verbuchte Russland gegenüber Deutschland einen Außenhandelsüberschuss. »Doch Russland ist fast ein reiner Rohstofflieferant«, warnt IfW-Experte Klaus Schrader vor einer Überbewertung dieser Tatsache. Aus den Gewinnen im Öl- und Gasgeschäft wird ein Großteil des russischen Staatshaushaltes finanziert. Eine industrielle Arbeitsteilung über Ländergrenzen hinweg fehle fast gänzlich und dadurch sei die russische Wirtschaft »eindimensional« und anfällig.

Der deutsch-russische Außenhandel bleibt daher ein Austausch von Technologie gegen Rohstoffe. Was den Einstieg russischer Investoren in die Hochtechnologiewerften Rostock, Wismar und Stralsund erklärt. Auch im Handel wendet sich Russland nach Westen: Über die Hälfte der Exporte gehen in die EU. Und Gazprom beliefert immer mehr Endkunden in Westeuropa direkt.

Ein »Aus« der russischen Energielieferungen an den Westen, schreiben die Analysten der Deutschen Bank, hätte »einen sehr hohen Preis für Russland selbst«. Der größere Verlierer einer Sanktionsspirale wäre also Putins Reich.

Zumal Russlands Wirtschaft derzeit schwächelt: Die Kapitalabflüsse sind 2014 gestiegen, der Rubel wurde abgewertet und der Anstieg der Inflationsrate hat sich beschleunigt. Dies dürfte die ohnehin schwache Konjunkturerholung dämpfen. Schon im vergangenen Jahr war das Wirtschaftswachstum auf unter zwei Prozent gesunken. Selbst bei einer relativ raschen Lösung der Ukraine-Krise und nur begrenzten neuen Sanktionen dürfte Russlands Wirtschaft in diesem Jahr kaum noch die vom Internationalen Währungsfonds prognostizierten 1,3 Prozent Wachstum erzielen.

Andererseits gelten die russischen Bilanzen als stark genug, um großem wirtschaftspolitischen Druck widerstehen zu können. Die Devisenreserven der Zentralbank belaufen sich auf fast 500 Milliarden US-Dollar. Die Staatsverschuldung liegt bei nur vier Prozent der Wirtschaftsleistung (Deutschland: 78 Prozent). Die Regierung hätte Spielraum, um bei einer Wirtschaftskrise durch Erhöhung der Staatsausgaben gegenzusteuern.

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