Der Hai und sein Phantom

Kurioses Tour-Wochenende in den Alpen / Polens Majka fordert den führenden Mann heraus

  • Tom Mustroph, Nimes
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Duell in den Alpen: Nibali gegen Majka. Am Freitag Freitag dominierte der gelbe Italiener, am Sonnabend der Pole Maika.

Nur ein Phantom konnte Vincenzo Nibali den zweiten Etappensieg in den Alpen verwehren. Rafal Majka, am Freitag in Chamrousse noch Zweiter hinter Nibali, drehte einen Tag später beim erstmals von der Tour angefahrenen Aufstieg nach Risoul den Spieß um und distanzierte den Italiener. Der Pole war aus einer Fluchtgruppe heraus erfolgreich und konnte Nibali im Finale nur noch mit allerletzter Kraft Widerstand leisten. Aber mit den Plätzen 2 und 1 in den Alpen war der Tinkoff-Profi der einzige, der dem »Hai von Messina« genannten Nibali Beutezüge auf ansteigendem Gelände vermasseln kann. Kurios daran: »Hai«-Bändiger Majka sollte eigentlich gar nicht bei der Tour dabei sein. »Ich fühle mich noch etwas müde vom Giro. Aber die Form wird immer besser«, meinte Majka, der im Mai bereits die Italienrundfahrt auf einem beachtlichen 6. Platz beendete. Im Juli sollte er Pause haben. Doch dann kam die Blutpassaffäre gegen Tinkoff-Kollegen Roman Kreuziger dazwischen. Der Tscheche, nominell wichtigster Munitionskistenschlepper vom »Pistolero« Alberto Contador, wurde suspendiert und Majka an dessen Stelle ins Aufgebot berufen.

Pikant ist, dass Kreuzigers verdächtige Blutwerte ausgerechnet aus dessen Zeit bei Astana stammen. Dort nahm er die Position als Rundfahrtkapitän ein, die jetzt Vincenzo Nibali auf sehr beeindruckende Art interpretiert. Dass die Tinkoff-Truppe gegen den aktuellen Astana-Chef gerade mit dem Mann erfolgreich war, der anstelle desjenigen in den Kader gekommen ist, der wegen mutmaßlicher Verfehlungen aus seiner Zeit bei Astana nicht das Tinkoff-Tourteam verstärken durfte, verlieh dem Alpen-Show-Down eine ganz besondere Note. Oleg Tinkoff, dem Geldgeber der Truppe, kamen sogar die Freudentränen. Bei einem hartgesottenen Mann, der in den Wild East-Zeiten der postsowjetischen Ära zu Vermögen kam, will das allerhand bedeuten.

Für kuriose Zwischentöne sorgte auch Team NetApp. In Chamrousse begeisterte Kapitän Leo König mit einer Attacke aus der Favoritengruppe innerhalb der letzten zehn Kilometer. Ihr vermochte nur Majka zu folgen. Am Ende schloss noch Nibali auf und zog schließlich vorbei. König unterlag im Bergsprint um Platz 2 dann Majka. Das Fazit von Enrico Poitschke, sportlicher Leiter von NetApp, hatte dennoch Hand und Fuß: »Das war ein bärenstarker Tag von Leo. Schade, dass da noch jemand stärker war.«

Tags darauf verkalkulierte sich die sportliche Leitung des Zweitdivisionärs. Sie ließ Königs Helfer auf dem vorletzten Berg des Tages, dem Col d'Izoard, so sehr Tempo bolzen, dass nicht nur die Favoritengruppe wie Schnee in der Sonne dahinschmolz, sondern auch der Teamleader Probleme bekam. NetApp zahlte mit der Beschleunigung am vorletzten Berg nicht nur Lehrgeld. Das Team erwarb sich auch den Ruf, mit Nibali eine Allianz eingegangen zu sein. Schließlich befreite es Astana von der Aufgabe des Tempomachens.

Ein Fehler in Hinblick auf die Tourdramaturgie. »Nibali kann man nur knacken, wenn man ihm und seiner Mannschaft so lange wie möglich die Tempoarbeit überlässt«, meinte Chris Horner zu »ns«. Der US-Amerikaner war der Letzte, der Nibali eine Niederlage zufügte. Er zog bei der letzten Vuelta a Espana, damals noch in Diensten von Trek, dem Italiener in der dritten Woche das rote Führungstrikot aus. Bei der Tour sieht der jetzige Lampre-Profi aber niemanden, der fähig ist für seine Rolle. »Alle haben sich entschieden, um den zweiten und den dritten Platz zu kämpfen. Sie attackieren sich gegenseitig - und Nibali kann in ihrem Windschatten Kräfte sparen«, erklärte er.

Im Astana-Lager ist man angesichts dieses Szenarios hocherfreut. »Man spart etwa 20 Watt, wenn man in den Bergen nicht vorn fährt«, rechnete Nibali-Trainer Paolo Slongo »nd« vor. Der »Hai aus Messina« ist clever genug, sich von Schwärmen von Friedfischen auf die Champs Elysees ziehen zu lassen. Am Sonntag war es wieder flach. Und wieder so, wie auf dieser Seite unter »Das Rennen vor dem Rennen« geschildert. Der Schweizer Martin Elminger und der Neuseeländer Jack Bauer führten vom Start weg. Um wenige Meter mussten sie der heranjagenden Meute den Vortritt lassen. Der Norweger Kristoff hatte am Ende die schnellsten Beine. Für das Ausreißerduo blieb nur Mitleid.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal