Nichts kann Migranten stoppen

Pater Solalinde über Mexikos verfehlte Flüchtlingspolitik und den Einfluss der Drogenmafia

  • Lesedauer: 5 Min.
Seit Dezember 2012 ist die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) in Mexiko wieder an der Macht, die sie bereits von 1929 bis 200u ununterbrochen innehatte. Für die sozialen Bewegungen ist das keine gute Nachricht. Mit dem renommierten Menschenrechtsverteidiger und Herbergengründer Pater Alejandro Solalinde sprach für »nd« Kathrin Zeiske über Migrantenrechte und Migrationspolitik unter der neuen alten Regierung und ihre Positionierung zum Drogenkartell der Zetas.

nd: Pater Solalinde, das Netzwerk der Migrantenherbergen in Mexiko, vertreten durch die Pastoral für menschliche Mobilität, hat die massiven Entführungen von Migranten national und international bekanntgemacht. Warum ist diese verstummt?
Solalinde: Es gab einen kalten Putsch gegen uns, als die PRI-Regierung antrat. Diese ist eng verbunden mit der Hierarchie der katholischen Kirche. Sie setzte der Pastoral Bischof Guillermo Ortíz vor, der zur Gruppe Atlacomulco gehört, die Präsident Enrique Peña Nieto an die Macht gebracht hat. Sämtlichen Mitarbeitern wurde nahegelegt zu gehen. Die Pastoral ist zum Schweigen gebracht worden - die Herbergen sind nun autonom organisiert, um Gerechtigkeit einzufordern für die Verschwundenen, die Toten, die Massengräber, die kriminellen Aktivitäten der Zetas gegen die Migranten.

Die Herbergen organisieren derzeit Karawanen durch das Land, um das Recht auf Freien Transit durch Mexiko einzufordern. Dabei sind diese selbst Übergriffen durch Polizei und Militär ausgesetzt …
Die Situation von Menschenrechtsverteidigern ist sehr delikat unter der PRI-Regierung. Die vorherigen Regierungen akzeptierten eher Kritik, sie gingen vielleicht nicht darauf ein, aber sie ließen uns gewähren. Diese nicht. Für die PRI sind Menschenrechte ein Störfaktor. Sie arbeiten lediglich auf die Wahlen 2018 hin, alles muss gutgehen und die öffentliche Meinung darf nicht negativ beeinflusst werden. Das Einzige, was sie interessiert, ist Macht. Sie sind wieder an der Regierung und wollen sie auch die nächsten 70 Jahre behalten.

Wie steht die PRI zu den Drogenkartellen?
Die Köpfe der PRI sind Machiavellisten durch und durch. Sie kennen keine Moral, ihnen ist egal, mit wem sie verhandeln; Hauptsache, sie haben dadurch alles unter Kontrolle. Peña Nieto hat nichts dagegen, dass die Kartelle existieren, aber ist darauf bedacht, dass sich niemand seiner Kontrolle entzieht. Deshalb versucht er im Bundesstaat Michoacán sowohl die Tempelritter wie auch die Selbstverteidigungstruppen zu kontrollieren.

Die Zetas begannen Migranten zu entführen, als die Regierung Calderón gegen sie vorging. Diese verbündete sich mit dem Sinaloakartell, um die Einnahmen des Drogenhandels zu monopolisieren ... Damit raubten sie den Zetas das Geschäft; ihr Auskommen war in Gefahr. Die Zetas sind Drogenhändler, sie müssen Scheine auf den Tisch legen für die Ware, die sie kaufen. Deshalb fingen sie mit den Entführungen der Migranten an. Diese werden gefoltert, bis ihre Familienangehörigen sie freikaufen. Sie schicken Dollars, und in Dollar bezahlten die Zetas die Drogen.

Wie positioniert sich die heutige Regierung zum Kartell der Zetas?
Peña Nieto weist die Zetas rigoros in die Schranken, denn sie haben die Golfküste Mexikos in ihrer Hand - die kürzeste Route, um Drogen in die USA zu schmuggeln. Und die aktuelle Regierung wird das ausschöpfen wollen. Politiker auf höchster Ebene sind in den Drogenhandel verstrickt.

Können die Zetas noch ungehindert Migranten in Mexiko entführen?
Risiko und Aufwand sind zu hoch. Massive Entführungen sind nicht mehr geheim zu halten; immer wieder können Migranten fliehen und das Heer informieren. Die Kartelle versuchen mit einfacheren Mitteln an das gleiche Geld zu kommen. Wozu sollen sie Migranten entführen, wenn sie ihnen einen Wegzoll abknöpfen können, sobald sie auf die Güterzüge steigen, mit denen sie Mexiko durchqueren? Für jeden Streckenabschnitt fordern die Zetas 100 Dollar, das sind rund 1500 Dollar pro Person. Wer nicht zahlt, wird in die Räder gestoßen. Hinzu kommen 3000 Dollar, um die US-Grenze zu überqueren, die ebenfalls in der Hand der Kartelle ist. Das sind gigantische Summen, wenn je nach Schätzungen jährlich 200 000 - 400 000 Menschen das Land auf dem Weg nach Norden durchqueren.

Im Rahmen der »Initiative Mérida« zahlt die US-Regierung Mexiko enorme Summen, um das Land zu militarisieren und die Migration auf mexikanischem Territorium abzufangen …
Mexiko wurde schon zweimal von den USA wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten abgestraft. Im Mai 2013 wurde ich nach Washington eingeladen, um mit dem Regierungsteam für bilaterale Angelegenheiten zu reden. Kurz nach diesem Gespräch haben die USA 150 Millionen Dollar der Mérida-Initiative eingefroren. Wegen »Amtsmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten«, so die offizielle Begründung. Dieses Jahr wurde die Mérida-Initiative gleich um 15 Prozent heruntergesetzt; eine weitere Strafaktion gegen Mexiko. Denn die Regierung will Migration auf ihre Weise stoppen. Sie haben in den letzten Jahren blutige Taktiken entwickelt, um Migranten davon überzeugen, sich nicht auf den Weg zu machen.

Wie wurde gegen die Flüchtlinge vorgegangen?
Einsätze der Migrationspolizei waren stets mit Überfällen und Entführungen synchronisiert. María Gómez Mont, die zunächst in Oaxaca, dann in Chiapas der Migrationspolizei vorstand, hat diese Taktik zur Vollendung gebracht. So gab es an ein und demselben Tag einen ersten bewaffneten Überfall auf den Zug und die darauf reisenden Migranten, kurz danach einen zweiten Überfall mit Macheten. Danach kommt ein Einsatz der Migrationspolizei mit der mexikanischen Marine - all das, um ein paar arme Migranten durch die Büsche zu verfolgen, dann ein zweiter Einsatz der lokalen Polizei. Zurück bleiben verletzte, überfallene, geschlagene und verängstigte Migranten. Wir haben das immer wieder angezeigt: Niemals geschah ein Vorfall unabhängig vom anderen.

Dennoch vertreten Sie die Auffassung, dass nichts und niemand jemals den Migrationsfluss stoppen könnte ...
Nichts und niemand. Menschen aus den mittelamerikanischen Ländern gelangen weiterhin nach Mexiko und in die USA. Und es werden immer mehr. Sie entfliehen der Armut und Gewalt, in die die neoliberalen Staatsmodelle sie zwingen. Hier in Ixtepec kommen zu allen Tageszeiten Migranten an. Es verschafft mir Gelassenheit, dass kein Geldbetrag für Migrationskontrolle sie aufhalten kann. Wir versuchen derweil, die Forderung nach freiem Transit durch Karawanen von Migranten und Aktivisten durchzusetzen. Wenn die Regierung dem nicht stattgibt, bleiben immer mehr Menschen hier, weil sie nicht weiterkommen. Mexiko hat gar nicht mehr die Kapazitäten, alle zurückzuschieben.

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