Ausnahmezustand

Rechtsdenken im Nationalsozialismus

  • Andreas Form
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Herrschaftsordnung des totalen Staates muss auf der Ebene des Beamtentums berechenbar bürokratisch sein, aber ansonsten hierarchisch, befehlsförmig, in den Formen einer persönlichen Herrschaft organisiert werden«, schrieb Ernst Forsthoff in seinem 1933 erschienenen Buch »Der totale Staat«. Er war einer der Juristen, die den NS-Unrechtsstaat zu legitimieren versuchten.

Es ist jetzt eine Sammlung von annähernd 40 einschlägigen Texten von braunen »Rechtsgelehrten« erschienen, von denen einige noch nach dem Krieg einflussreich in der Bundesrepublik gewirkt haben. Herlinde Pauer-Studer, Professorin am Institut für Philosophie der Universität Wien, und der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Bayreuth Julian Fink wollen erschreckende »Rechtfertigungen des Unrechts« bloßstellen. Zu den Autoren der hier dokumentierten Schandtexte gehören neben Forsthoff auch Karl Larenz, Carl Schmitt, Wilhelm Stuckart, Roland Freisler, Werner Best und viele andere.

Der Dokumententeil ist thematisch gegliedert. Er enthält teils rechtsphilosophische Texte etwa zum Positivismus oder zur »Sittlichkeit« des Rechts, teils staatsrechtliche des Übergangs vom demokratischen Rechtsstaat zum »Führerstaat«. Es folgen Dokumente zu Staat und Verfassung im NS-Deutschland und vor allem zur antisemitischen Gesetzgebung. Schließlich wird die Transformation des Straf- und Polizeirechts in ein Instrument der Gewaltherrschaft dokumentiert. Kurzbiografien der Autoren vermitteln einen Eindruck davon, wieviele Verfasser der verheerenden juristischen Legitimationsversuche nach dem Kriege nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, sondern stattdessen in der jungen Bundesrepublik erneut in Amt und Würden waren: Generationen von Nachkriegsjuristen haben mit Forsthoffs »Lehrbuch des Verwaltungsrechts« und seinen Kommentierungen des Grundgesetzes gearbeitet. Hans Franzen war nach dem Krieg Rechtsanwalt, Reinhard Höhn Leiter der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Homburg, Ernst-Rudolf Guber war Autor einer achtbändigen »Deutsche Verfassungsgeschichte«, Larenz Professor für Zivilrecht und Rechtsphilosophie in Kiel sowie später in München und Ulrich Scheuner Professor für Öffentliches Recht in Bonn. Sie erreichten alle ein hohes Alter, lebten mehrheitlich noch in den 1990er Jahren, im Gegensatz zu den Opfern ihres Rechtsverständnisses.

Carl Schmitt hatte seinerzeit formuliert: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Der Nationalsozialismus entwickelte sich zu einer Gewaltherrschaft des permanenten Ausnahmezustands, wie dieser Band bezeugt.

Herlinde Pauer-Studer/ Julian Fink: Rechtfertigungen des Unrechts. Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus in Originaltexten. Suhrkamp, Berlin 2014. 563 S., br., 22 €.

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