nd-aktuell.de / 11.08.2014 / Kultur / Seite 14

Die Künstleroase

Auf dem Gelände der BLO-Ateliers in Lichtenberg arbeiten 93 Menschen. Droht der Gemeinschaft nun das Aus?

Thembi Wolfram

Wenn die Malerin Almut Müller zur Arbeit geht, kommt sie an einer Betonwerkstatt und einer Schmiede vorbei. Es kann sein, dass sie auf dem Weg gefragt wird, ob sie kurz beim Sägen oder Schweißen helfen kann. Aus einem alten Backsteinhaus, das »Hexenhaus« getauft wurde, weil es so schief ist, dringt leise Jazzmusik. Ein paar Meter weiter werkelt ein Imker an seinem Bienenstock. Um die Ecke arbeitet Björn, der Special Effects macht. Im Keller unter ihrem Atelier werden Fahrradrahmen aus Bambus gefertigt und dann gibt es da noch den Polsterer, Lichtkünstler, den Steinmetz, den Teppichknüpfer, eine Strickerin, Jongleure, Drucker, Schreiner und Feuerkünstler. All das umgeben von einem kleinen Urwald aus wilden Bäumen und Pflanzen, umrahmt von Bahnschienen, inmitten Berlins.

Almut Müllers Atelier befindet sich in der Künstlergemeinschaft auf dem Gelände des BLO, eines ehemaligen Betriebswerks der Deutschen Bahn. Seit zehn Jahren hat sich eine Gruppe Künstler und Handwerker hier fast unerkannt einen Ort des kreativen Schaffens aufgebaut. Rund um das Gelände liegen Schienen, dann und wann fährt direkt neben einem der Häuser eine Bahn vorbei. »Es ist eine ganz andere Welt« sagt Müller. Die 52-jährige trägt kurze Jeans und ein Sommertop und sitzt auf einem der gemütlichen Sessel in ihrem kleinen Atelier. Die Wände sind gesäumt mit ihren aktuellen Arbeiten. Auf einer wackligen Holzempore stehen fast 60 Bilder, aus zehn Jahren Arbeit im BLO. Almut Müller war schon ganz am Anfang dabei, als eine kleine Gruppe idealistischer Künstler auf den verwucherten Schienen ihr erstes Plenum abhielt. Damals hatten sie gerade einen Mietvertrag für zehn Jahre abgeschlossen. Seitdem haben sie jede freie Minute und viel Geld in das Gelände investiert.

Heute arbeiten 93 Menschen auf dem Gelände: Handwerker und Künstler Seit an Seit und manchmal auch an gemeinsamen Projekten. Eine Holzbogen- und eine Bumerangmanufaktur gehören sicher zu den exotischsten Handwerken in der Ateliergemeinschaft. Müller arbeitet gerade an ihrer Serie »Wer braucht schon Helden«. Viele Antifaschistinnen und Anarchisten sind darunter, in vibrierenden Farben porträtiert. Zwischendurch malt Almut Müller auch schon mal die beiden Schreiner aus der Holzwerkstatt nebenan. »Und wenn mir mal nichts einfällt, kann ich ja einfach rausgehen und mit den Händen in der Erde wühlen.«

Weil der Boden nach dem langen Betrieb durch die Bahn kontaminiert ist, haben sich die Künstler in alten Holzbooten und Blumenkübeln Hochbeete mit Gemüse und Wildblumen gebaut. Dort gärtnert Müller - wann immer sie neben der Malerei, ihren weiteren zwei Jobs und den Renovierungsarbeiten am BLO Zeit hat - an Studentenblumen, Indianernesseln, Wassermelonen und Auberginen. Die Investitionen der Gemeinschaft in die Natur haben sich gelohnt. Füchse, Feldhasen und Waschbären fühlen sich zwischen den Bäumen und in den alten Gebäuden wohl. Im Sommer schwirrt sogar der seltene Hirschkäfer durch Müllers Atelier. »Ich fühle mich hier zu Hause«, sagt sie.

Gegenüber von Müllers Atelier, vorbei an einem riesigen Amboss und durch ein kleines Tor, geht es in die Schmiede. Groß wie ein Kirchensaal, voll mit massiven Maschinen, die Wände gesäumt mit Kupfer- und Aluminiumrohren unterschiedlicher Größe. Gerade wird an der Nachbildung eines 120 Jahre alten historischen Friedhofstors gearbeitet. »Und an so einer kuriosen Lichtinstallation für den Berghain-Club«, sagt einer der Schmiede.

Ein Stück weiter auf dem Weg, einige Schritte ins Dickicht, geduckt unter ein paar Sträuchern hindurch durchs Unterholz, vorbei an einer morschen Holzbank, kommt man bald auf eine kleine Lichtung. Dort stehen zwei Silberpappeln, deren Kronen ein Feuer mitgenommen hat. Zwischen ihnen hängt die mannshohe Nachbildung eines menschlichen Herzens aus korrodiertem Eisen. Wenn das Wetter schön ist, probt dort eine experimentelle Jazzmusikerin.

Nicht weit davon sägt, raspelt und feilt eine Gruppe Menschen angestrengt an einigen Holzblöcken: ein Kurs der einzigen Bumerangmanufaktur Deutschlands. Christian Kliem, der Meister, ist einer der jüngeren Künstler in der BLO-Gemeinschaft und erst seit wenigen Jahren dabei. »Ich habe hier einen Ort der Ruhe, eine Oase gefunden, mitten in Berlin.« Kliem hat in seiner Werkstatt eine spezielle Bogenform entwickelt und gibt nun Kurse für von weit her angereiste Bumerangliebhaber - und schwierige Kinder und Jugendliche aus dem Berliner Kiez. Bevor er durch Zufall zu einer Werkstatt in der Ateliergemeinschaft kam, arbeitete der 36-Jährige hauptberuflich als Sozialpädagoge.

Ins Paradies der Ateliergemeinschaft kam in diesem Juni zum ersten Mal Unruhe. Der zehnjährige Mietvertrag, den die Veteranen des BLO mit der Deutschen Bahn abgeschlossen hatten, lief Ende Juli aus. Die Deutsche Bahn wollte eine Mieterhöhung von fast 100 Prozent durchsetzen. Dabei habe es, so der Vorwurf der Künstler, von deren Seite gar keine Investitionen in das Gelände gegeben. Mittlerweile steht die BLO-Vereinsleitung wieder in Verhandlungen und man sei zuversichtlich, heißt es.

Vor allem unter Lichtenbergern hat sich herumgesprochen, dass die Türen der BLO-Ateliergemeinschaft immer offen stehen. Gelegentlich finden Konzerte und Lesungen in der ehemaligen Bahnkantine statt. Alle paar Wochen soll es bald eine Jam-Session der Musiker geben. Und einmal im Jahr legen sich alle Künstler für ihren Tag der offenen Tür ins Zeug. Der sei immer gut besucht, sagt Almut Müller: »Es spricht sich halt langsam herum, was wir hier für ein Idyll haben.«